
Münster/AI. Die Anerkennung Palästinas steht europaweit plötzlich wieder auf der Agenda. Frankreich, das Vereinigte Königreich und Kanada haben zuletzt entsprechende Schritte angekündigt oder in Aussicht gestellt. Doch was hieße das konkret – rechtlich und im Alltag? Der Münsteraner Völkerrechtler Prof. Dr. Niels Petersen ordnet in einem kürzlich veröffentlichen Interview der Universität Münster ein: Vieles wäre vor allem symbolisch, manches könnte sich aber diplomatisch spürbar auswirken.
Eine formale Weltformel für Anerkennungen gibt es nicht. Üblich ist eine Erklärung des Staatsoberhaupts oder der Regierung, oft in Gestalt einer diplomatischen Note. Völkerrechtlich folgt dies der „deklaratorischen“ Sicht: Anerkennung bestätigt einen bereits bestehenden Sachverhalt, sie schafft keinen Staat erst durch den Akt selbst. Genau deshalb hätte die Anerkennung Palästinas durch Deutschland primär Signalwirkung – rechtlich bliebe zunächst vieles gleich.
Symbolische Schritte können politisch viel bewegen. Das zeigte sich etwa 1992, als die damalige Europäische Gemeinschaft Kroatien anerkannte – ein Meilenstein in der Neuordnung Ex-Jugoslawiens. Ein Beispiel nahezu universeller Anerkennung ist Südsudan: Nach der Unabhängigkeit 2011 folgte rasch die Aufnahme in die Vereinten Nationen. Solche Entscheidungen verändern Machtkonstellationen, auch wenn sie nicht automatisch neue Rechtslagen schaffen.
Unmittelbar nach einer Anerkennung Palästinas durch Deutschland müsste sich rechtlich wenig ändern. Möglich wäre jedoch, dass Berlin einen Botschafter ernennt, Staatsgäste offiziell empfängt oder Abkommen schließt. Das sind politische Entscheidungen, keine Pflichtprogramme. Kurzfristig würde die Anerkennung vor allem den diplomatischen Austausch ordnen – und ein deutliches Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Perspektive senden.
Im Handel käme es nicht automatisch zu neuen Rechten oder Pflichten, denn Außenhandel ist überwiegend EU-Kompetenz. Schon heute gibt es ein Interims-Assoziationsabkommen zwischen der EU und der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Zollvergünstigungen, unabhängig von der internationalen Anerkennung. Umgekehrt zeigt die enge Wirtschaftsbeziehung der EU zu Taiwan, dass substanzielle Handelsbeziehungen auch ohne formale Anerkennung möglich sind. All das spricht dafür, dass die Anerkennung Palästinas durch Deutschland ökonomisch zunächst kaum Neues auslösen würde.
Seit Sommer 2025 hat die Debatte Fahrt aufgenommen: Frankreich hat die Anerkennung angekündigt, Großbritannien bereitet sie vor, und Kanada will im September bei der UN-Generalversammlung folgen – teils an Bedingungen wie Reformen der Palästinensischen Autonomiebehörde geknüpft. Für Berlin erhöht das den Druck, die eigene Linie zeitnah zu klären. Dennoch gilt: Rechtlich ändert sich zunächst wenig, politisch sendet der Schritt ein starkes Signal.
Prof. Dr. Niels Petersen ist seit Februar 2015 Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie empirische Rechtsforschung an der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte liegen an der Schnittstelle von Völkerrecht und Verfassungsrecht – genau dort, wo Anerkennungsfragen verhandelt werden.