
Münster/AI. Wer am Hauptbahnhof auf die Anzeigetafeln blickt, stolpert schnell über Lücken und Sprünge: Nach Gleis 3 erscheinen 8 und 9, die 10 fehlt, dann folgen 11/12 und 14/17. Die Gleisnummerierung am Hauptbahnhof Münster wirkt unlogisch, obwohl sie es nicht ist. Denn gezählt werden nicht nur Bahnsteigkanten, sondern sämtliche Gleise – also auch Durchfahr-, Abstell- und Stumpfgleise. Wenn Anlagen später umgebaut, stillgelegt oder anders genutzt werden, bleiben die vergebenen Nummern aus betrieblichen Gründen meist bestehen. Genau dadurch entstehen sichtbare Lücken, die man heute besonders in Münster erkennt.
In Münster beginnt das Rätsel bereits am westlichen Bahnhofskopf: Gleis 1 existiert betrieblich, hat jedoch keinen Bahnsteig. Dazwischen liegen weitere Schienentrassen, die ausschließlich dem Rangieren, Abstellen oder Güterverkehr dienen – etwa frühere oder heutige Gleise, die niemals eine Bahnsteigkante hatten. Gleis 11 wiederum ist ein Stumpfgleis, das also nicht durchgehend befahren wird. Gleichzeitig sind Gleise wie 21 zurückgebaut oder für eine künftige Nutzung vorgesehen. Für Fahrgäste sichtbar sind deshalb die Bahnsteigpaare 2/3, 8/9, 11/12 sowie 14/17; dazwischen fehlen Zahlen, weil dort eben keine Bahnsteige liegen. All das ist kein Fehler, sondern Ergebnis jahrzehntelanger Anpassungen an den Betrieb.
Oft prallen zwei Welten aufeinander: Was Fahrgäste sehen, richtet sich nach den Bahnsteiggleisen und der Wegeführung im Bahnhof. Was Planer und Betrieb meinen, umfasst die gesamte Anlage – inklusive Abstellgleisen, Überholgleisen und Stumpfgleisen. In Planunterlagen tauchen deshalb Nummern auf, die in der Fahrgastinformation nicht erscheinen. So spricht die Planung beim aktuell vorgesehenen Ausbau am östlichen Ende vom „Bahnsteig 5“ – gemeint ist der fünfte Bahnsteig, nicht das „Gleis 5“. In der Fahrgastwelt wird dort voraussichtlich ein neues, hoch nummeriertes Gleis geführt. Wer die Gleisnummerierung am Hauptbahnhof Münster verstehen will, muss daher beides zusammendenken: Publikumssicht und Infrastrukturzählung.
Naheliegend klingt die Frage: Warum vergibt man nicht frische Nummern ohne Lücken? Die Antwort ist schlicht: Das wäre teuer, riskant und verwirrend. Denn es müssten Fahrpläne, Durchsagen, Anzeigen, Wegweiser, Notfallpläne und betriebliche Unterlagen gleichzeitig umgestellt werden. Außerdem würden Reisende, Pendler und sogar digitale Systeme lange mit alten und neuen Bezeichnungen durcheinandergeraten. Deshalb ergänzt man in der Praxis neue Nummern eher am Rand, lässt Lücken bestehen oder übernimmt historische Zählungen. Für die Gleisnummerierung Münster Hbf bedeutet das: Kontinuität geht vor kosmetischer Korrektur.
Auch anderswo ist die Logik dieselbe. In Bremen etwa springt die Anzeige von Gleis 3 direkt zu Gleis 5. Gleis 4 existiert dort als durchgehendes Gleis in der Halle – allerdings ohne Bahnsteig. Für den Betrieb ist es wichtig, für Reisende jedoch irrelevant. Deshalb wird es in der Kundenkommunikation ausgelassen. Der Effekt gleicht dem in Münster: Was betrieblich zählt, muss nicht zwingend am Bahnsteig sichtbar sein.
Mit Blick auf den geplanten Außenbahnsteig am östlichen Ende des Münsteraner Hbf wird die Zählung erneut wachsen. In den behördlichen Unterlagen ist von zusätzlichen Bahnsteigkanten und ihrer Einbindung in die bestehende Struktur die Rede. Statt eine komplette Renummerierung zu wagen, wird Münster die bestehende Ordnung fortschreiben. Damit bleibt die Gleisnummerierung Münster Hbf konsistent, auch wenn neue Gleise am Rand hinzukommen und frühere Nummern im Inneren fehlen.
Die Logik zieht sich durch große Knoten: Berlin Hbf nutzt getrennte Nummernkreise für die zwei Ebenen – unten 1–8, oben 11–16. Die Lücke ist Absicht und erleichtert die Orientierung zwischen „tief“ und „Stadtbahn“. Düsseldorf Hbf trennt S-Bahn und Fern-/Regionalverkehr ebenfalls in eigene Bereiche: Die S-Bahn fährt an 11/12, während die übrigen Züge an 4–10 halten. Hamburg Hbf wiederum weist den S-Bahn-Gleisen einen eigenen, klar abgegrenzten Sektor zu. Überall gilt: Umbauten, Ebenenwechsel und betriebliche Erfordernisse haben Vorrang vor Nummernästhetik – und verhindern kostspielige, riskante Neuzählungen.