
Düsseldorf. Das Lagebild zur häuslichen Gewalt 2024 in NRW offenbart besorgniserregende Entwicklungen. Die Zahl der registrierten Fälle ist im Vergleich zum Vorjahr erneut gestiegen. Mehr als 61.400 Menschen waren 2024 Opfer häuslicher Gewalt – ein Plus von knapp zwei Prozent. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich nicht nur ein polizeiliches Phänomen, sondern eine gesellschaftliche Realität, die Politik und Institutionen gleichermaßen herausfordert.
Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen verzeichnete im Jahr 2024 insgesamt 61.406 Fälle häuslicher Gewalt. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das einen Anstieg um 1.138 Delikte. Besonders häufig handelt es sich um Partnerschaftsgewalt, also um Übergriffe innerhalb aktueller oder früherer Beziehungen. Über 80 Prozent der Opfer sind Frauen, doch auch Männer und Kinder sind betroffen.
Besonders dramatisch ist die Zahl der Tötungsdelikte: 32 Menschen verloren 2024 durch Partnerschaftsgewalt ihr Leben, darunter 29 Frauen. Im Bereich der innerfamiliären Gewalt wurden zusätzlich 19 Tötungen registriert. Fast die Hälfte aller Opfer war jünger als 21 Jahre – ein alarmierendes Signal für die Schutzbedürftigkeit junger Menschen in Konfliktsituationen.
Die im Lagebild dokumentierten Taten reichen von Körperverletzungen, die am häufigsten vorkommen, bis hin zu Bedrohungen, Nötigungen, Stalking und sexuellen Übergriffen. Auch gefährliche Körperverletzungen und die Zunahme bei Zwangsprostitution fließen in die Statistik ein. Die meisten Opfer und Tatverdächtigen sind jünger als 40 Jahre, was zeigt, dass die Gewalt in erster Linie jüngere Bevölkerungsgruppen betrifft.
Die hohe Dunkelziffer bleibt ein Kernproblem. Viele Opfer trauen sich aus Angst, Scham oder Abhängigkeit nicht, Anzeige zu erstatten. Das Lagebild weist ausdrücklich darauf hin, dass die erfassten Zahlen nur einen Teil der Realität abbilden.
Du liest unsere Nachrichten kostenlos und unabhängig. Hilf mit einem Beitrag deiner Wahl.
Um Betroffene besser zu schützen, haben Bundestag und Bundesrat im Februar 2025 ein Gesetz beschlossen, das die Länder verpflichtet, Schutz- und Beratungsangebote auszubauen. Ein bundeseinheitlicher Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung wird jedoch erst ab 2032 in Kraft treten. Bis dahin hängt die Hilfe für Opfer von den vorhandenen Kapazitäten ab. Gerade Frauenhäuser sind in NRW häufig überfüllt, viele Hilfesuchende müssen abgewiesen werden. Fachverbände fordern daher seit Jahren eine deutliche Ausweitung der Kapazitäten und eine gesetzlich verankerte Sicherheit für Opfer.
Innenminister Herbert Reul (CDU) warnte eindringlich, dass häusliche Gewalt kein Randthema sei. „Immer mehr Frauen, Männer und Kinder erleben die Hölle in den eigenen vier Wänden. Häusliche Gewalt ist kein Privatproblem, sondern etwas, das uns alle angeht“, betonte er bei der Vorstellung des Lagebilds. Reul rief Betroffene ausdrücklich dazu auf, sich an die Polizei zu wenden.
Von Seiten der Opposition gibt es jedoch Kritik. Anja Butschkau, frauenpolitische Sprecherin der SPD im Landtag NRW, erklärte, dass die Landesregierung zu wenig für den Schutz der Betroffenen tue. Derzeit stehen in NRW nur rund 700 Frauenhausplätze zur Verfügung – viel zu wenig, um den tatsächlichen Bedarf zu decken. Besonders umstritten ist der Stopp eines geplanten Neubaus in Düsseldorf. Erst ab 2028 sollen neue Plätze über Bundesfördermittel geschaffen werden. „Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen“, sagte Butschkau.