
Münster. Am 28. Juli 2025 jährt sich der Jahrhundertregen in Münster zum elften Mal. Elf Jahre nach dem dramatischen Starkregen, der binnen weniger Stunden Straßen in Flüsse verwandelte, Keller flutete und zwei Menschen das Leben kostete, wird in der Stadt nicht nur erinnert, sondern auch bilanziert. Zwischen 17 und 24 Uhr fielen damals unglaubliche 292 Millimeter Regen – etwa ein Drittel des durchschnittlichen Jahresniederschlags in Münster. Die Spitzenintensität lag bei 220 Millimetern in nur 95 Minuten, zwischen 19:45 und 21:20 Uhr. Die Stadt stand buchstäblich unter Wasser. Mit rund 40 Milliarden Litern Regenwasser – umgerechnet über 266 Millionen Badewannenfüllungen – wurde Münster binnen kürzester Zeit an seine infrastrukturellen Grenzen geführt. Der Jahrestag des Jahrhundertregens in Münster wirft die Frage auf, was sich seither verändert hat, ob die Stadt ausreichend geschützt ist und wie der Umgang mit Extremwetterereignissen inzwischen funktioniert. Damals starben ein 76-jähriger Mann in einem Keller sowie ein 73-jähriger Autofahrer. Die Natur, die Infrastruktur und die Menschen – sie alle waren betroffen. Münster wurde innerhalb von Stunden zum Symbol einer neuen Art von Wetterkatastrophe, wie sie durch den Klimawandel künftig häufiger auftreten könnte.
Die Ereignisse des 28. Juli 2014 gelten meteorologisch als Ausnahmefall mit extrem seltenem Wiederkehrwert. Der Deutsche Wetterdienst stufte das Unwetter in seiner höchsten Kategorie ein – Stufe 4 für „extremes Unwetter“. Auslöser war eine feuchtwarme, nahezu windstille Luftmasse unter einem ortsfesten Tief über Benelux, die eine Gewitterzelle über Münster festhielt. Gegen 16:45 Uhr traf die erste Gewitterfront den Westen der Stadt. Schon zu diesem Zeitpunkt war die Kanalisation überlastet. Gegen 18:30 Uhr verschärfte sich die Lage massiv. Der Regen ließ nicht nach, sondern steigerte sich. Ab 19:45 Uhr bis kurz nach 21 Uhr erlebte Münster die Phase mit der höchsten Niederschlagsintensität: In nur 95 Minuten kamen 220 Millimeter vom Himmel. Brennpunkte waren der Albersloher Weg, das Aasee-Gebiet, der Hafen, Mecklenbeck und Albacht. Insgesamt wurden mehr als 13.000 Notrufe gezählt. Über 800 Einsatzkräfte von Feuerwehr, DLRG und THW waren im Dauereinsatz. Gegen 23:30 Uhr zog die Zelle langsam nach Nordosten ab. Doch das Wasser floss bis zum nächsten Morgen weiter – langsam, unaufhaltsam, zerstörerisch. Spontanhelfer organisierten sich in der Gruppe „Regen in Münster“. Über 5.000 Freiwillige pumpten 3.146 Keller leer, trugen Sperrmüll zusammen und halfen Nachbarn. Es war eine Mobilisierung ohne Vorlauf, die später als Vorzeigebeispiel moderner Katastrophenhilfe gelten sollte.
Das Ausmaß der Schäden war enorm. Zwei Menschen starben: Ein 76-jähriger Mann ertrank in einem vollgelaufenen Keller, ein 73-jähriger Autofahrer kam in den Fluten ums Leben. Mehr als 15.000 Keller liefen voll, darunter auch Kliniktrakte des UKM und die Universitätsbibliothek. Die A1 musste zwischen Münster-Nord und Greven mehrere Stunden gesperrt werden, das Stellwerk in Greven fiel aus – der Bahnverkehr in Richtung Nordsee kam zum Erliegen. Auch die Natur blieb nicht verschont: 450 Stadtbäume wurden beschädigt, 250 mussten gefällt werden. Rund 24.000 Haushalte waren zeitweise ohne Strom.
Die Versicherungssumme lag bei etwa 140 Millionen Euro, rund 30.000 Schadenmeldungen wurden registriert. Die Stadt selbst schätzte ihre unmittelbaren Schäden auf etwa 67 Millionen Euro. Die Landesregierung stellte knapp sechs Millionen Euro Soforthilfe zur Verfügung.
Schon 2015 erkannte die Stadt, dass kein Kanalnetz der Welt auf solch ein Ereignis ausgelegt sein kann. Daraus folgten zahlreiche Maßnahmen. Mit der Starkregengefahrenkarte SRGK (2017) entstand eine flächendeckende Strömungssimulation für das Stadtgebiet – öffentlich einsehbar und für jeden Haushalt relevant. Der Masterplan Kanalnetz 2030 wurde gestartet: Geplant sind größere Rückhaltebecken, die Entkopplung von Regen- und Schmutzwasser sowie gezielte Entsiegelung von Flächen.
Parallel dazu wurde das Forschungsprojekt EVUS (2015–2018) ins Leben gerufen. Ziel war es, Haushaltsvorsorgemaßnahmen und Frühwarnsysteme zu evaluieren. Die FH Münster stellte 2024 fest, dass das Risikobewusstsein für Starkregenereignisse bereits wenige Jahre nach dem Ereignis stark nachlässt – eine Herausforderung für die Präventionsarbeit.
Auch zehn Jahre später hat sich die Situation nicht vollständig beruhigt. Zahlreiche Stadtteile gelten weiterhin als Risiko-Hotspots, in denen selbst kleinere Starkregenereignisse gefährlich werden können. Viele Haushalte haben keinen erweiterten Versicherungsschutz gegen Elementarschäden. Die Spontanhelfergruppe „Regen in Münster“ leistete damals über 3.600 Hilfeeinsätze – ein Beispiel für bürgerschaftliches Engagement in der Krise. Dennoch stellt sich die Frage: Reichen die baulichen Maßnahmen und die Erinnerung an 2014 aus, um Münster krisenfest zu machen?
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Weitere InformationenEin Blick auf andere Unwetterereignisse zeigt die Dimension des Jahrhundertregen Münster: 292 Millimeter in sieben Stunden wurden in der gesamten 150-jährigen Messgeschichte nur ein einziges Mal in Deutschland übertroffen. Zum Vergleich: Beim Starkregen in Aachen 2017 fielen 122 Millimeter in einer Stunde, bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 etwa 182 Millimeter in 24 Stunden – allerdings mit deutlich höherer Opferzahl. Münster bleibt das Extrembeispiel für hochintensive Kurzzeitregenfälle in urbanen Räumen.
Der Jahrestag des Jahrhundertregens in Münster ist nicht nur ein Moment der Erinnerung, sondern ein Prüfstein dafür, wie wir heute mit Klimarisiken umgehen. Die dramatischen Stunden vom 28. Juli 2014 zeigten, dass selbst Städte mit guter Infrastruktur verwundbar sind. Der Schaden war immens, aber auch der Wille zur Veränderung war groß. Dennoch bleiben viele Fragen offen: Wie belastbar sind die neuen Maßnahmen? Haben alle Stadtteile ausreichend Schutz? Wie steht es um den Versicherungsschutz in der Bevölkerung? Und: Was geschieht, wenn ein solches Ereignis erneut eintritt – bei noch höheren Temperaturen, noch mehr versiegelter Fläche, noch dichterer Bebauung? Die Antwort darauf beginnt mit dem Erinnern. Und mit der Einsicht, dass Klimaanpassung keine Einmalmaßnahme ist, sondern eine Daueraufgabe für Kommunen, Bürger und Politik. Elf Jahre nach dem Jahrhundertregen ist klar: Die Herausforderung bleibt.