
In Nordrhein-Westfalen wächst der Druck auf die Landesregierung: Zwei freie Kita-Träger klagen gegen das Land – wegen ausbleibender Reformen, fehlender Finanzierung und rechtlich fragwürdiger Vorschriften. Gleichzeitig ruft der Deutsche Kitaverband NRW mit Briefen an die Abgeordneten des Landtags zur politischen Kehrtwende auf. Der Reformstau beim KiBiz bringt das System frühkindlicher Bildung in eine bedrohliche Schieflage.
Bereits im Juli 2024 räumte Familienministerin Josefine Paul (Grüne) im Ausschuss ein, dass die große Reform des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) frühestens zum Kita-Jahr 2026/27 greifen könne. Schuld seien interne Abstimmungen und unklare Fördermittel des Bundes. Die FDP kritisierte die Verzögerung öffentlich und forderte bis zum ersten Quartal 2025 einen belastbaren Gesetzentwurf.
Die Folge: wachsender Frust unter freien Trägern. Viele fühlen sich im Stich gelassen – und einige ziehen nun juristische Konsequenzen. Zwei von ihnen haben Klage gegen das Land eingereicht. Parallel dazu hat der Deutsche Kitaverband NRW eine landesweite Solidaritätsaktion gestartet. In persönlichen Briefen fordern freie Träger die Landtagsabgeordneten auf, den Reformstau beim KiBiz endlich aufzulösen.
Gegenstand der Klagen sind insbesondere § 36 und § 51 KiBiz. § 36 verpflichtet freie Träger, 7,8 % der Betriebskosten selbst zu tragen – ohne Möglichkeit zur Refinanzierung. Gleichzeitig verbietet § 51 die Erhebung freiwilliger Elternbeiträge für Zusatzangebote wie bilinguale Gruppen, Musikförderung oder Gesundheitsprogramme. Für viele Einrichtungen ein wirtschaftliches Risiko.
Laut Kitaverband widerspricht diese Regelung nicht nur dem Sozialstaatsprinzip, sondern auch Artikel 3 und 7 des Grundgesetzes. Zudem sei das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern (§ 5 SGB VIII) massiv eingeschränkt. Ein verfassungsrechtliches Gutachten stützt diese Einschätzung. Die Kläger fordern: Schluss mit der strukturellen Benachteiligung freier Träger – und mehr Gestaltungsfreiheit für individuelle Angebote.
Die finanziellen Konflikte treffen auf eine ohnehin angespannte Lage in der Kindertagesbetreuung. Laut IT.NRW lag die Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren am 1. März 2024 bei nur 32,2 %. Das bedeutet: Rund zwei Drittel aller U3-Kinder in NRW (67,8 %) hatten keinen Platz. Damit liegt das Land im bundesweiten Vergleich auf den hintersten Rängen – mit gravierenden Folgen für Familien und den Arbeitsmarkt.
Zugleich warnt das Deutsche Jugendinstitut, dass bis 2030 rund 20.000 Fachkräfte zusätzlich benötigt werden. Angesichts sinkender Bewerberzahlen kritisieren Gewerkschaften wie GEW und VBE die Strategie der Landesregierung als unzureichend. Die aktuelle Recruiting-Kampagne „#WTFuture“ und eine neue Personalverordnung seien keine Lösung, sondern reine Symbolpolitik.
Auch der Städtetag NRW drängt auf eine grundlegende KiBiz-Reform. Andernfalls müssten Städte entweder Beiträge erhöhen oder Einrichtungen schließen. Der Landeselternbeirat befürchtet, dass steigende Landeszuschüsse nur auf dem Papier bei den Familien ankommen – und tatsächlich durch Umwege wieder auf die Eltern abgewälzt werden.
Der Deutsche Kitaverband NRW fordert daher in seinem Schreiben an die Abgeordneten:
die vollständige Abschaffung des Träger-Eigenanteils
die Reform des Zuzahlungsverbots
eine verfassungs- und sozialrechtskonforme Neugestaltung des KiBiz
„Eine gerechte Finanzierung ist kein politisches Geschenk – sie ist eine Verpflichtung gegenüber Familien, Kindern und Trägern“, heißt es im Musterbrief an die Abgeordneten.
Die Klagen der Träger und der Appell des Verbands markieren einen Wendepunkt. Der Reformstau beim KiBiz ist längst nicht mehr nur ein Verwaltungsproblem – er ist ein politisches Risiko mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen.