
Bielefeld. Ein außergewöhnlicher und emotionaler Strafprozess hat am 29. Juli 2025 vor dem Landgericht Bielefeld begonnen. Im Zentrum steht ein 60-jähriger Mann aus Werther, der sich wegen Beihilfe zum Totschlag verantworten muss. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, den gemeinsamen Suizid seiner Eltern in Versmold technisch vorbereitet und damit entscheidend ermöglicht zu haben. Das Ehepaar war 88 und 86 Jahre alt, die Mutter schwer demenzkrank.
Der Fall wirft komplexe Fragen zu den Grenzen familiärer Verantwortung, zur Rolle psychischer Erkrankungen und zum gesellschaftlichen Umgang mit Sterbewünschen älterer Menschen auf. Schon am zweiten Prozesstag, dem 31. Juli, könnte ein Urteil fallen.
Ende Januar 2024 bereitete der Angeklagte nach eigener Aussage den Tod seiner Eltern minutiös vor. Er besorgte Heliumflaschen und Gasmasken, die er online bestellte. Anschließend baute er eine Vorrichtung, mit der sich die Masken über Schläuche an die Gasflaschen anschließen ließen. In der elterlichen Wohnung in Versmold installierte er alles so, dass die Eltern den Suizid selbst ausführen konnten.
Am Tag der Tat gab der Vater seiner demenzkranken Frau ein Schlafmittel. Danach legte er ihr und sich selbst die Gasmasken an und öffnete die Flasche mit dem Heliumgas. Laut Aussage des Sohnes verließ er in diesem Moment das Schlafzimmer und war beim eigentlichen Tod nicht mehr anwesend. Trotzdem ist für die Anklage entscheidend: Ohne seine Vorbereitungen wäre der Suizid so nicht möglich gewesen.
Die Motivation des Angeklagten ist Teil der Verhandlung. Er gibt an, seine Eltern hätten seit vielen Jahren den Wunsch geäußert, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Dieser Wunsch ist laut Verteidigung auch dokumentiert: Ein handgeschriebener Brief der Mutter aus dem Jahr 1995 enthält entsprechende Äußerungen, ebenso ein Abschiedsvideo und ein Schreiben des Vaters, das vor Gericht präsentiert wurde.
Eine aktuelle Willensbekundung der Mutter liegt allerdings nicht vor. Der Angeklagte erklärte, sie sei durch ihre fortgeschrittene Demenz nicht mehr in der Lage gewesen, sich eindeutig zu äußern. Juristisch ist das ein kritischer Punkt: Während der Wille des Vaters dokumentiert ist, bleibt offen, ob die Mutter dem Suizid tatsächlich noch bewusst zugestimmt hat.
Der Mann aus Werther ist derzeit arbeitslos und leidet nach eigenen Angaben unter psychischen Erkrankungen. Er schilderte, dass der Tag der Tat für ihn emotional kaum zu bewältigen gewesen sei. Nur der feste Glaube daran, dass seine Eltern diesen Schritt wirklich wollten, habe ihn durchhalten lassen. Die Verteidigung betont daher die psychische Ausnahmesituation und stellt infrage, ob der Angeklagte im klassischen Sinne schuldfähig war.
Obwohl der Fall viele ethische Fragen aufwirft, könnte das Verfahren schnell abgeschlossen sein. Da der Angeklagte die Tat eingeräumt hat und die Fakten weitgehend unstrittig sind, wird bereits am zweiten Verhandlungstag mit einem Urteil gerechnet. Der zuständige Strafsenat will zunächst prüfen, inwieweit eine strafmildernde Bewertung möglich ist – etwa aufgrund der dokumentierten Wunschlage des Vaters oder der psychischen Verfassung des Sohnes.