
NRW/AI. Die Zahl der offenen Ermittlungsverfahren in NRW hat Mitte 2025 einen neuen Höchststand erreicht. Zum Stichtag 30. Juni waren rund 267.000 Verfahren unerledigt – so viele wie noch nie. Das bedeutet ein Plus von 4,6 Prozent gegenüber Jahresbeginn und sogar rund 40 Prozent mehr als Ende 2021, als noch knapp 191.600 Fälle offen waren. Auch bundesweit stiegen die Rückstände: Insgesamt waren Ende Juni 2025 knapp 981.633 Verfahren anhängig, das sind fast 31.000 mehr als Ende 2024.
Ein Hauptgrund für den Anstieg sind die konstant hohen Neuzugänge. Allein in Nordrhein-Westfalen kamen zwischen Januar und Juni 2025 mehr als 645.000 neue Verfahren hinzu. Besonders stark betroffen sind Delikte wie Sexualstraftaten, Gewalttaten, politisch motivierte Angriffe auf Wahlplakate sowie Hasskriminalität im Internet. Hinzu kommt, dass die Staatsanwaltschaften regelmäßig parlamentarische Anfragen beantworten müssen. Diese Arbeit bindet wertvolle Kapazitäten und geht zulasten der eigentlichen Aktenbearbeitung.
Schon Ende 2024 waren in NRW von 1.813 vorgesehenen Staatsanwaltsstellen nur 1.575 besetzt – es fehlten also 238 Juristen. Gewerkschaften und Richterverbände sprechen sogar von bis zu 460 fehlenden Staatsanwälten. Die Folge: Überlastungsquoten von mehr als 140 Prozent, was die Bearbeitungsgeschwindigkeit erheblich reduziert. Bereits im ersten Quartal 2025 wurden über 260.000 unerledigte Verfahren gezählt – ein Anstieg von 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Der Deutsche Richterbund (DRB) sieht dringenden Handlungsbedarf. Er fordert, dass die im „Pakt für den Rechtsstaat“ zugesagten 450 Millionen Euro Bundesmittel endlich in die Länder fließen, um die Personalausstattung spürbar zu verbessern. Für NRW fordert der Verband 400 neue Stellen, während die Landesregierung bislang lediglich 60 zusätzliche Posten für den Haushalt 2026 eingeplant hat – davon 40 für Staatsanwälte und 20 für weitere Bedienstete.
Neben zusätzlichen Personalressourcen setzt Justizminister Benjamin Limbach auch auf Digitalisierung. Bis zum 1. Januar 2026 sollen der elektronische Rechtsverkehr und die digitale Aktenbearbeitung in allen Staatsanwaltschaften in NRW eingeführt werden. Ziel ist es, Abläufe zu beschleunigen und Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Fachleute betonen jedoch, dass digitale Strukturen allein den enormen Rückstau nicht beseitigen können – sie müssen mit einer massiven Aufstockung des Personals kombiniert werden.
Die aktuellen Zahlen machen deutlich, wie stark die Justiz in Nordrhein-Westfalen unter Druck steht. Mit 267.000 offenen Ermittlungsverfahren in NRW ist der Rückstau größer als jemals zuvor. Ohne deutlich mehr Personal und konsequente Digitalisierung droht die Handlungsfähigkeit der Justiz weiter zu erodieren. Ob die geplanten Maßnahmen ausreichen, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen.