Taylor Swift veröffentlichte am Freitag ihr elftes Studioalbum, das bereits jetzt auf dem Weg ist, Rekorde zu brechen. Auf über zwei Stunden Spielzeit liefert Swift einige ihrer besten Texte und führt Tagebuch über Trennungen, Affären und ihr Leben in der Öffentlichkeit. Eines ist bereits jetzt klar: Für die weltweit Millionen Fans gibt es lyrisch so viel zu analysieren, wie lange nicht mehr. Mehr in unserer Rezension zu „The Tortured Poets Department“.
Nach mehreren Monaten Marketing und verschiedensten Teasern, einschließlich globaler Schnitzeljagd, erschien Freitagnacht „The Tortured Poets Department“. Zwei Stunden später setzte die US-Amerikanerin noch einen drauf und veröffentlichte mit „The Anthology“ die zweite Hälfte des Doppelalbums mit 15 weiteren Songs. Experten rechnen mit einem rekordverdächtigen Debüt von über 2 Millionen verkauften Tonträgern in den Vereinigten Staaten. Es ist das meiste gestreamte Album innerhalb eines Tages in der Geschichte Spotifys. Nach der erfolgreichsten Tour der Geschichte und dem vierten Grammy für das „Album des Jahres“, scheint Swift damit auf dem) Höhepunkt ihrer Karriere angekommen, ein persönliches Happy End bleibt vorerst trotzdem aus.
Musikalisch setzt der Popstar auf ihre Wegbegleiter Aaron Dessner und Jack Antonoff, die seit 2017 fest an der Seite der Sängerin stehen. Während Dessner insbesondere die zweite Hälfte des Doppelalbums mit Pianoklängen auskleidet, setzt Antonoff auf Synth-Pop Sounds und soll ihr mit „Fortnight“ den nächsten Hit bescheren. Insgesamt versucht sich Swift an einer Symbiose ihrer Grammy-prämierten Erfolgsalben „Midnights“ und „folklore“. Das Doppelalbum wagt dementsprechend kaum musikalische Experimente. Aus diesem Grund funktioniert die ruhigere zweite Hälfte mit dem Titel „The Anthology“ deutlich besser. Hier kommt das Songwriting wirklich zur Geltung. Viele der ersten Songs klingen dagegen zu glattgeschliffen und kalt für die düsteren Inhalte, die präsentiert werden. Am Ende der zweistündigen Achterbahnfahrt durch das Seelenleben Swifts bleiben deshalb vor allem herzzerreißende Zeilen und weniger einzelne Melodien im Kopf.
Denn das Album legt den Fokus auf Trennung und Herzschmerz. Die „Swiftie-Community“ weltweit hatte sich auf eine Abrechnung mit ihrem langjährigen Partner, Schauspieler Joe Alwyn, eingestellt. Doch es kam anders und doch so typisch für die Songwriterin, denn das Album bietet weniger einen Einblick in eine einzige Liebschaft der Songschreiberin, sondern widmet sich verschiedenen Themen. Im Fokus steht dabei vor allem: Die ständige Beobachtung der Öffentlichkeit.
Inhaltlich geht der Popstar dementsprechend sowohl auf die Trennung von Joe Alwyn als auch auf die kürzere Affäre mit dem umstrittenen The1975 Frontmann Matty Healy ein. Die Texte schwanken dabei zwischen Wut, Trauer und Akzeptanz und ergeben in ihrer Widersprüchlichkeit ein stimmiges Gesamtbild einer mental angeschlagenen Künstlerin. Im Laufe des zweistündigen Epos wird allerdings deutlich: Die toxischste Beziehung besteht zwischen Swift und ihren Fans.
Kaum ein Popstar steht unter derart öffentlicher Dauerbeobachtung wie Taylor Swift. Das zeigte spätestens ihre weltweit ausgestrahlte Beziehung zu Football-Star Travis Kelce. Doch die Künstlerin und der Mensch Taylor Swift sind nicht nur für Hardcore- „Swifties“ schwer auseinanderzuhalten. Nicht zuletzt lebt der unglaubliche Erfolg der Sängerin durch die enge Verbundenheit und Intimität, die sie in ihren Texten herstellt. Das stellt die 34-Jährige in diesem Album vielleicht so deutlich wie nie zu Schau.
Die Schattenseiten dieses Zustands zeigt die Sängerin vor allem in „But Daddy I Love Him“. In dem Song geht es darum, wie ihre Beziehung zu The1975-Sänger Matty Healy durch ihre eigenen Fans zerstört wurde. So beschreibt Swift Teile der eigenen Fans als „Saboteure“ und „verurteilende Creeps“. Diese hatten zwischenzeitlich gar eine Petition gegen die Beziehung zum skandalbehafteten Briten gestartet. Dennoch veröffentlicht Swift zwei Jahre nach Ende der Beziehung erneut 31 Songs über ihr intimstes Privatleben. Es stellt sich die Frage: Wer durchbricht diesen Kreislauf?
Die Sängerin selbst wird es so bald nicht tun. So erklärte Swift ihre Beweggründe bereits auf der „Eras Tour“ mit den Worten: „Ich hatte noch nie ein Album, bei dem ich das Songwriting mehr gebraucht habe als bei Tortured Poets.“ Diesen Drang spürt man durch alle Songs hinweg. Doch auch wenn sie jeden der 31 Songs schreiben musste, hätte das Album an verschiedenen Stellen mehr Kürze gutgetan. Songwriting scheint ihr, möglicherweise einziger, Umgang mit den Ereignissen der vergangenen zwei Jahre zu sein. Diese Monate zwischen Fast-Verlobung, Trennung, Affäre und öffentlichem Shitstorm scheinen in Swift verschiedenste Emotionen ausgelöst zu haben. Die US-Amerikanerin flucht so viel wie nie zuvor und teilt neben ihren Ex-Freunden auch gegen Kanye West und Kim Kardashian aus. Doch sie kündigt auch an: „Es gibt nichts zu rächen, keine Rechnungen zu begleichen, wenn die Wunden verheilt sind.“
Am Ende dieser zwei Stunden und zwei Minuten steht ein gutes Pop Album, das in der zweiten Hälfte qualitativ zulegt und trotzdem an wenigen Stellen soundtechnische Experimente wagt. Die Diskussion wird sich jedoch schon bald auf Interpretationen und Theorien zu den verschiedenen Songs fokussieren. Bereits jetzt kursieren im Internet Theorien zu einer Depression Joe Alwyns oder versteckten Anspielungen auf die Drogensucht Matty Healys. Taylor Swift spielt allerdings bewusst mit diesen Hinweisen und liefert wahrscheinlich so viele Steilvorlagen für Fantheorien wie noch nie. Wir sehen eine Künstlerin, die nicht mit und nicht ohne die parasoziale Beziehung ihrer Fans zu ihrer Person leben kann. Deshalb wird sie wohl bis auf weiteres eine gequälte Poetin bleiben.