
Münster. In Deutschland leben rund 100.000 Kinder mit mindestens einem inhaftierten Elternteil – ein Thema, das bislang kaum Beachtung findet. Isolation, Scham und emotionale Belastungen prägen das Leben vieler Betroffener. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) will das ändern: Gemeinsam mit dem LVR hat er die Landesfachstelle „Netzwerk Kinder von Inhaftierten NRW“ ins Leben gerufen. Sie setzt sich für kindgerechte Besuchsmöglichkeiten, Familienunterstützung und einen sensibleren Justizvollzug ein.
Ziel ist es, Kinder nicht länger aus dem Blick zu verlieren. Die Fachstelle fungiert als zentrale Schnittstelle zwischen Justiz, Jugendhilfe und zivilgesellschaftlichen Trägern. Gefördert wird das Projekt durch die Auridis Stiftung. Der LWL übernimmt hierbei eine tragende Rolle in der landesweiten Koordination und Beratung.
In ausgewählten Justizvollzugsanstalten wie Bielefeld-Brackwede, Willich I und Willich II entstehen inzwischen Besuchsräume mit Kuschelecke, Maltisch und Spielsachen. Diese Räume ermöglichen eine Umgebung, in der Kinder nicht nur Zeit mit dem inhaftierten Elternteil verbringen, sondern sich auch sicher und willkommen fühlen. Studien belegen, dass solche Besuche die emotionale Entwicklung fördern und sogar die Rückfallquote der Inhaftierten senken.
Familienfreundliche Konzepte wie wohnlich eingerichtete Familienzimmer oder spezielle Familientage sind in NRW mittlerweile Teil eines dreistufigen Modells. Bis 2026 sollen die Erfahrungen aus den Modellanstalten in verbindliche landesweite Standards überführt werden – wissenschaftlich begleitet und evaluiert.
Seit dem offiziellen Projektstart im Januar 2024 bringt die Landesfachstelle unter Leitung des LWL Fachkräfte aus Jugendhilfe, Familienhilfe und Strafvollzug an einen Tisch. Bei der digitalen Kick-off-Tagung kamen bereits 200 Expertinnen und Experten zusammen. Inzwischen bietet die Stelle auch Fortbildungen an und stellt umfangreiches Material zur Verfügung – darunter barrierefreie Kinderhefte wie „Mama muss ins Gefängnis“ oder „Papa muss ins Gefängnis“.
Darüber hinaus vermittelt der LWL konkrete Unterstützungsangebote an betroffene Familien: Das umfasst Hilfe bei der Kommunikation mit Kindern, Informationen über zusätzliche Besuchsrechte in JVAs sowie anonyme Online-Beratung über Partnerangebote wie JUKI-online.
NRW geht mit seinem familiensensiblen Strafvollzug einen bundesweit beachteten Weg. In allen 36 Justizvollzugsanstalten gelten inzwischen Mindeststandards, etwa für kindgerechte Räume und wöchentliche Sonderbesuche von Minderjährigen. Sechs Schwerpunktanstalten erproben darüber hinaus weiterführende Modelle, die ein Zusammenleben im Haftalltag zumindest stundenweise ermöglichen.
Der LWL begleitet diese Entwicklung aktiv – sowohl als fachlicher Impulsgeber als auch als Lobbyist für Kinderrechte. So wird sichergestellt, dass die Perspektive der Kinder nicht nur bedacht, sondern systematisch in die Gestaltung des Justizvollzugs eingebunden wird.
Die Arbeit des LWL ist eingebettet in ein größeres Netzwerk: Über die Bundesinitiative „Netzwerk Kinder von Inhaftierten“ und die europäische Organisation COPE (Children of Prisoners Europe) orientiert sich die Landesfachstelle an internationalen Standards wie der Europarats-Empfehlung CM/Rec(2018)5. Diese fordert explizit, die Rechte von Kindern in Strafvollzugsfragen stärker zu berücksichtigen.
Gerade für Kinder, die bisher oft gar nicht im Hilfesystem auftauchten, ist das ein bedeutender Fortschritt. Denn hinter jeder Inhaftierung steht auch ein Familienschicksal – und der LWL sorgt dafür, dass dieses künftig nicht mehr übersehen wird.