
Der brutale Mord an dem 16-jährigen Sinan F. aus Bramsche hat bundesweit Entsetzen ausgelöst. Im Februar 2023 wurde der Jugendliche von seinem 82-jährigen Nachbarn Giuseppe D. auf dem Weg zur Schule erschossen. Es war eine Tat, die aus einem bizarren Nachbarschaftsstreit hervorging und in ihrer Grausamkeit kaum fassbar ist. Im Dezember 2023 verurteilte das Landgericht Osnabrück den Täter zu 13 Jahren Freiheitsstrafe und ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Eine Entscheidung, die die Familie des Opfers tief erschütterte.
Am 28. Februar 2023 wollte Sinan F. wie jeden Morgen zur Schule gehen. Der 16-Jährige war etwas spät dran, doch er bestand darauf, den Unterricht nicht zu verpassen, ein Englischtest stand an. Was er nicht wusste: Sein Nachbar Giuseppe D., ein ehemaliger Sportschütze, lauerte ihm im Hausflur auf. Als Sinan die Wohnungstür öffnete, wurde er von einem Schuss in die Wade getroffen und stürzte zu Boden. Doch der Täter hörte nicht auf. Er trat näher, feuerte weitere Schüsse ab. Eine Kugel verletzte Sinans Hand, eine andere traf sein Gesicht. Sanella F., Sinans Mutter, trat panisch auf den Balkon und wurde zur Augenzeugin der letzten grausamen Sekunden ihres Sohnes. Trotz ihrer Schreie zielte D. ein letztes Mal, und schoss dem am Boden liegenden Jugendlichen in den Kopf. Danach versuchte der Rentner, sich selbst zu töten. Doch er überlebte. Sinan wurde noch in eine Klinik gebracht, doch für ihn kam jede Hilfe zu spät.
Giuseppe D. lebte seit 2017 direkt unter der Familie F. in einem Mehrfamilienhaus in Bramsche. Der pensionierte Pizzabäcker fühlte sich seit Jahren von seinen Nachbarn schikaniert, ein Eindruck, der auf keiner realen Grundlage beruhte. Vielmehr litt D. an paranoider Schizophrenie mit akustischen Halluzinationen. Immer wieder glaubte er, durch laute Musik, Wecker oder Poltern aus der Wohnung über ihm gestört zu werden. Obwohl es keinerlei objektive Hinweise auf Lärmbelästigung gab, entwickelte er ein regelrechtes Feindbild. Besonders der Jugendliche Sinan wurde zum Ziel seiner Wahnvorstellungen. Sanella F. beschrieb, wie der Nachbar beinahe täglich vor ihrer Tür stand, um sich zu beschweren, sie sprach von „Psychoterror“. Giuseppe D. suchte Hilfe bei Polizei, Vermietung, Sozialpsychiatrie. Doch niemand erkannte die reale Gefahr, die von ihm ausging. Tragisch war auch, dass er trotz seiner Erkrankung weiterhin Zugang zu Schusswaffen hatte. Eine Kleinkaliberpistole aus seiner Zeit als Sportschütze war im Keller aufbewahrt, offiziell längst vergessen, weil der Eintrag in der Waffenbesitzkarte nie aktualisiert wurde.
Die Frage, wie es zu dieser Eskalation kommen konnte, wirft ein Schlaglicht auf mehrere Versäumnisse. Giuseppe D. hatte seit Jahrzehnten eine unbefristete Waffenbesitzkarte. Als er in den 1980er Jahren ins Ausland zog und später zurückkehrte, wurden seine Waffen jedoch nicht neu registriert. Ein zentrales Waffenregister existierte damals nicht. So geriet seine Kleinkaliberpistole aus dem Fokus der Behörden, obwohl der Rentner seit Jahren durch auffälliges Verhalten aufgefallen war. Auch eine medizinische Untersuchung wenige Wochen vor dem Mord bescheinigte „keine besorgniserregenden Ergebnisse“. Für Sanella F. war das unbegreiflich. Bereits im Vorfeld hatte sie die Behörden gewarnt und gefragt, ob erst jemand getötet werden müsse, bevor etwas geschehe. Diese Warnung wurde ignoriert, mit tödlichen Konsequenzen. Am Ende holte Giuseppe D. die geladene Pistole aus dem Tresor, trat aus seinem Wahn heraus als selbst ernannter Rächer auf und erschoss ein Kind. Eine Katastrophe, die hätte verhindert werden können.
Neun Monate nach der Tat begann in Osnabrück der Prozess gegen Giuseppe D. Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten heimtückischen Mord vor. D. hatte die Tat im Gerichtssaal gestanden, sprach jedoch von Notwehr. Er habe sich bedroht gefühlt. Doch für das Gericht war klar: Sinan wollte schlicht zur Schule, es gab keine Bedrohungslage. Der psychiatrische Gutachter bestätigte, dass D. an paranoider Schizophrenie litt und Stimmen hörte, die ihm einredeten, Sinan wolle ihm etwas antun. Kurz vor dem Urteil berichtete D. sogar von einer neuen Stimme, die Halluzinationen setzten sich fort. Dennoch betonte der Gutachter, dass der Rentner trotz Erkrankung wusste, dass sein Verhalten Unrecht war. Die Kammer erkannte daher eine verminderte, aber keine aufgehobene Schuldfähigkeit. Als Mordmerkmal wurde die Heimtücke anerkannt: Sinan war ahnungslos und konnte sich nicht wehren. Am 11. Dezember 2023 fällte das Gericht das Urteil: 13 Jahre Haft wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Waffenbesitz, plus Einweisung in die Psychiatrie.
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Für Sanella F. war das Urteil ein Schock. Während des gesamten Prozesses blieb sie dem Gerichtssaal fern. Die psychische Belastung war zu groß. Ihre Anwältin trat als Nebenklägerin auf. Nach dem Urteil zeigte sich Sanella F. zutiefst enttäuscht: 13 Jahre für die Ermordung ihres Sohnes, das könne sie nicht akzeptieren. In Interviews ließ sie ihrer Wut freien Lauf: „Ich habe nicht einen Hamster verloren, sondern mein Kind. Und dafür gibt es lächerliche 13 Jahre?“ Die Mutter hatte sich eine lebenslange Freiheitsstrafe erhofft, zumindest als symbolischen Ausgleich für das verlorene Leben ihres Sohnes. Die Vorstellung, dass der Täter möglicherweise eines Tages wieder frei kommt, während Sinan für immer tot bleibt, ist für sie unerträglich. Auch in der Stadt Bramsche löste die Tat große Bestürzung aus. Die Öffentlichkeit reagierte mit Unverständnis, ein Jugendlicher wird auf dem Schulweg erschossen, aus dem Nichts. Es war ein Mord ohne jedes Motiv, der das Sicherheitsgefühl vieler erschüttert hat.
Die Frage, warum Giuseppe D. keine lebenslange Freiheitsstrafe erhalten hat, sorgte für viele Diskussionen. Juristisch ist die Antwort klar: Wer zur Tatzeit aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung nur eingeschränkt schuldfähig ist, erhält eine zeitlich befristete Freiheitsstrafe. Hinzu kommt eine Maßregel nach § 63 StGB, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Diese Kombination soll die Gesellschaft schützen und dem Täter eine Behandlung ermöglichen. Im Fall Giuseppe D. sah das Gericht die Gefahr weiterer Taten als gegeben an. Ohne Therapie, so der Gutachter, könne es erneut zu Ausbrüchen kommen. Deshalb soll der heute 82-Jährige zunächst in der Psychiatrie bleiben. Erst bei Stabilisierung wäre eine Verlegung in den Strafvollzug denkbar. Doch trotz dieser Maßnahmen bleibt das Gefühl, dass die Gerechtigkeit auf der Strecke blieb. Sanella F. brachte es auf den Punkt: „Für jeden Schuss hätte er lebenslang bekommen müssen.“ Die Rechtsprechung orientiert sich am Gesetz, doch sie kann nicht den Schmerz heilen, den ein Verlust wie dieser hinterlässt.