
Jahrelang lebte Mario Forster ein gefährliches Doppelleben. Der mehrfach vorbestrafte Kriminelle wurde 2009 vom Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) als V-Mann angeworben und in das Umfeld der Rockerbande Bandidos eingeschleust. Dort bewegte er sich im Drogenhandel, in der Prostitution und bei Eigentumsdelikten, nach eigener Darstellung stets mit Rückendeckung des LKA. Als seine Tarnung aufflog, fühlte er sich von den Behörden im Stich gelassen. Es folgten Gerichtsverfahren gegen ihn selbst, in denen er zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde, sowie Prozesse gegen LKA-Beamte, die am Ende größtenteils freigesprochen wurden. Der Fall gilt bis heute als einer der größten V-Mann-Skandale Bayerns und wirft ein Schlaglicht auf die rechtlichen und moralischen Grauzonen verdeckter Ermittlungen.
Mario Forster wurde 1967 in der DDR geboren. 1988 versuchte er, in den Westen zu fliehen, wurde jedoch erwischt und zu acht Jahren Haft verurteilt. Nach der Wiedervereinigung kam er frei, doch sein Leben verlief weiterhin auf kriminellen Bahnen. Er sammelte zahlreiche Vorstrafen, unter anderem wegen Betrugs, Hehlerei, Körperverletzung und Untreue. Zeitweise betrieb er einen Nachtclub in Amberg und bewegte sich im Rotlichtmilieu. 2006 wurde er erneut festgenommen, diesmal wegen Betrugs. In dieser Situation suchte er erstmals aktiv den Kontakt zum Bayerischen LKA. Nach seiner Haftentlassung 2009 wurde er offiziell als Vertrauensperson angeworben und erhielt die Kennnummer VP 113. Ziel war es, Erkenntnisse aus Drogenhandel, Rotlicht und Rockermilieu zu gewinnen.
Seine ersten Aufträge führten ihn in die Welt des Drogenhandels. Er sollte Kontakte aus der Haft nachverfolgen und Informationen liefern, die potenziell zu Ermittlungen führen konnten. Nach seinen Angaben gründete er sogar eine Scheinfirma, um ein geplantes Drogengeschäft glaubwürdig anzubahnen. Nach seiner Darstellung und späteren Medienberichten finanzierte das LKA Fahrten und Spesen, brach die Operation aber kurz vor der Umsetzung ab. Offiziell hieß es, das Risiko für den V-Mann sei zu groß, sollte er im Ausland auffliegen. Parallel dazu übernahm Forster ein Clubprojekt in Amberg, das nach seiner Darstellung in enger Abstimmung mit seinem V-Mann-Führer lief.
Er behauptete später, dass Razzien und Polizeikontrollen dort bewusst unterblieben seien, um seine Tarnung zu sichern. Nach übereinstimmenden Berichten erhielt Forster in dieser Phase regelmäßige Barzahlungen, die auf Autobahnraststätten übergeben wurden. Die anfänglichen Erträge für die Ermittler blieben jedoch überschaubar. Forster selbst war überzeugt, dass er „richtig einsteigen“ müsse, um an echte Insiderinformationen zu gelangen und dazu gehörten zwangsläufig illegale Geschäfte.
Im Herbst 2010 lernte Forster in einer Regensburger Kneipe ein Mitglied der Bandidos kennen. Er pflegte den Kontakt und erhielt bald eine Einladung ins Clubhaus. Er begann, sich als „Prospect“ im Regensburger Chapter einzubringen. Bald darauf soll er Prostituierte in Tschechien angeworben und in deutsche Bordelle gebracht haben. Parallel dazu liefen Kontakte im Drogenhandel an, darunter nach seinen Angaben Aufträge, Crystal Meth aus Tschechien zu besorgen. In dieser Zeit nach seiner Darstellung und späteren Medienberichten erhielt Forster umfassende logistische Unterstützung durch das LKA, darunter eine Harley-Davidson und Mietwagen wie Mercedes-Modelle. Nach Medienberichten summierten sich seine monatlichen Zahlungen auf mehrere tausend Euro. In der Rockerszene verschaffte ihm dies Glaubwürdigkeit, und er erarbeitete sich den Ruf eines „Beschaffers“, der für seine Clubkameraden Dinge organisieren konnte. Damit bewegte sich Forster zunehmend in einem Graubereich, in dem sich verdeckte Ermittlungen und echte Kriminalität kaum noch voneinander trennen ließen.
Im September 2011 beteiligte sich Forster mit Rocker-Kollegen an einem Diebstahl von Baumaschinen in Dänemark. Auf der Rückfahrt wurde er mit einem Tieflader voller Mini-Bagger in Bayern festgenommen. Er kam wieder frei, doch in der Szene weckte es Aufmerksamkeit, dass er trotz häufiger Polizeikontakte nicht ernsthaft belangt wurde. Das Misstrauen innerhalb der Bandidos wuchs. Forster selbst schilderte später, dass er zunehmend Todesangst verspürte.
Im November 2011 wurde er bei der Einfuhr kleiner Mengen Crystal Meth erwischt, entgegen den von ihm geschilderten Vorgaben seines V-Mann-Führers, keine Drogen am Körper zu transportieren. Das LKA brach daraufhin seinen Einsatz ab. Am 11. Dezember 2011 wurde er in Bayern festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. In dieser Phase habe er nach seinen Angaben vergeblich auf Unterstützung durch das LKA gehofft. Er fühlte sich fallen gelassen – und entschloss sich, seine Rolle als V-Mann offen zu legen.
Vor dem Landgericht Würzburg stand Forster 2013 wegen Drogenhandels, Diebstahls und weiterer Delikte. Er selbst enttarnte sich im Prozess als V-Mann und behauptete, er habe im Auftrag des LKA gehandelt. Die als Zeugen geladenen LKA-Beamten bestätigten zwar seine Tätigkeit als VP 113, bestritten aber jede Mitwisserschaft an Straftaten. Ein Gutachten stellte ihm zeitweise „wahnähnliche Züge“ aus, was seine Glaubwürdigkeit schwächte. Das Gericht verurteilte ihn zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft. In der Revision wurde die Strafe 2014 auf zweieinhalb Jahre reduziert, nachdem einzelne seiner Angaben durch Ermittlungen gestützt werden konnten. Damit blieb Forster verurteilter Straftäter, aber erstmals zeigte sich, dass seine Aussagen nicht vollständig aus der Luft gegriffen waren.
2017 erhob die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Anklage gegen sechs LKA-Beamte. Ihnen wurde Strafvereitelung im Amt, Anstiftung zu Straftaten und uneidliche Falschaussage vorgeworfen. Im Prozess trat Forster als Zeuge und Nebenkläger auf. Er bekräftigte, er habe im Auftrag der Polizei gehandelt, räumte aber ein, dass Geld seine Hauptmotivation gewesen sei. 2018 sprach das Landgericht vier Beamte frei, zwei V-Mann-Führer wurden wegen uneidlicher Falschaussage zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt. 2020 bestätigte der Bundesgerichtshof die Freisprüche, 2021 erhielt ein Beamter in einem letzten Verfahren eine Geldstrafe von 11.700 Euro. Damit endete die strafrechtliche Aufarbeitung für die Beamten mit relativ milden Konsequenzen.
Nach seiner Haftentlassung suchte Forster mehrfach den Kontakt zur Öffentlichkeit. In einem Interview mit dem Stern schilderte er unter anderem, wie er auf Rastplätzen und Autobahnraststätten Bargeldübergaben erhielt, seine Ausstattung durch das LKA (z. B. eine Harley-Davidson, Mietwagen, Tankkarte) sowie eigene Abrechnungen mit dem LKA und der Rockerszene.
2022 brachte ProSieben mit der Doku „Jenke.Crime: Der V-Mann-Skandal“ seine Geschichte ins Fernsehen. Dort trat Forster anonymisiert auf und berichtete erneut, dass er im Auftrag des Staates gehandelt habe. Politisch beschäftigte der Fall auch den Bayerischen Landtag. In mehreren Debatten und Petitionen wurde der Einsatz von V-Leuten diskutiert. Kritiker forderten strengere Regeln und mehr Kontrolle, das Innenministerium verwies auf überarbeitete Richtlinien.
Der Fall Mario Forster zeigt exemplarisch die Risiken verdeckter Ermittlungen. Forster wurde rechtskräftig wegen Drogenhandels und anderer Delikte verurteilt. Gleichzeitig belegten spätere Verfahren und Medienberichte, dass sein Einsatz Einblicke in problematische Praktiken des V-Leute-Einsatzes eröffnete. Bis heute bleibt die Frage offen, wie weit staatliche Stellen gehen dürfen, um Informanten zu führen und ob Forster am Ende eher Täter war, der den Staat ausnutzte, oder ein V-Mann, den der Staat fallen ließ.