
Am 18. Dezember 2006 spielte sich in einem Mindener Chemiebetrieb ein tragisches Geschehen ab, das bis heute ungelöst geblieben ist. Der 44-jährige Mitarbeiter Johann Isaak brach im Pausenraum zusammen, kurz nachdem er einen Schluck aus seiner im Gemeinschaftskühlschrank gelagerten Limonadenflasche genommen hatte. Die Flasche war zuvor bereits geöffnet und Isaak hatte sie nach Schichtbeginn wieder in den Kühlschrank gestellt. Wenig später klagte er über massive Beschwerden und verlor das Bewusstsein. Trotz sofortiger medizinischer Hilfe verstarb er noch am selben Tag im Klinikum Minden.
Die Ermittlungen ergaben, dass das Getränk mit Natriumcyanid, einem hochtoxischen Salz der Blausäure, versetzt worden war. Schon kleinste Mengen dieser Substanz wirken innerhalb weniger Minuten tödlich. Der Fall sorgte damals für große Bestürzung in der Belegschaft und in der Region. Aufgrund der außergewöhnlichen Tatmethode und des Tatorts wurde der Fall in der Öffentlichkeit bald als „Giftmord im Chemiewerk Minden“ oder auch als „Fanta-Mord“ bekannt.
Unmittelbar nach dem Tod des 44-Jährigen nahm die Polizei die Ermittlungen mit einer eigenen Mordkommission auf, die den Namen „Kühlschrank“ erhielt. Sie prüfte sämtliche Beschäftigten, Zugangsmöglichkeiten und Bewegungen im Umfeld des Pausenraums. Auch Alibis der Kolleginnen und Kollegen wurden kontrolliert. Zudem ging die Polizei zahlreichen Hinweisen aus der Bevölkerung nach, darunter auch Meldungen über mögliche persönliche Konflikte oder betriebsinterne Spannungen.
Ein konkreter Tatverdacht konnte aber nicht erhärtet werden. Die Mordkommission ermittelte monatelang ohne entscheidenden Durchbruch. Spuren, die damals ausgewertet wurden, führten zu keinem Täter. Nach mehreren Jahren wurde der Fall schließlich als ungelöst zu den sogenannten „Cold Cases“ gelegt, also zu den Altfällen, bei denen alle Ermittlungsansätze ausgeschöpft schienen.
Fast zwanzig Jahre später hat die Ermittlungsgruppe Cold Case der Polizei Bielefeld den Fall erneut aufgerollt. Im Sommer 2024 beauftragte sie das Landeskriminalamt (LKA) NRW mit einer umfassenden chemisch-toxikologischen Untersuchungsreihe. Dabei wurde die Zusammensetzung der Giftmischung noch einmal im Detail analysiert. Im Fokus standen auch die Veränderungen des Getränks unter verschiedenen Lagerbedingungen, insbesondere hinsichtlich Farbe, Druckveränderungen in der Flasche und Temperatur.
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Das neue Gutachten kam zu einer entscheidenden Erweiterung der bisherigen Annahmen. Die Polizei war 2006 davon ausgegangen, dass die Flasche während des Wochenendes vom 16. auf den 17. Dezember vergiftet worden war. Nach den neuen Erkenntnissen kann nun auch Freitag, der 15. Dezember 2006, als Tatzeitpunkt nicht ausgeschlossen werden. Diese Verschiebung um einen Tag eröffnet den Ermittlern neue Möglichkeiten, da sich nun weitere Personen in den Kreis der potenziell Tatverdächtigen einbeziehen lassen.
Mit dem neuen Zeitfenster richtet sich der Blick erneut auf die Belegschaft des Chemiebetriebs. Nach Angaben der Polizei war der Zugang zum Werksgelände damals streng kontrolliert, sodass nur berechtigte Mitarbeitende Zutritt hatten. Daraus ergibt sich die Annahme, dass der Täter oder die Täterin aus dem Umfeld der Firma stammen muss.
Nach Angaben der Ermittlungsgruppe Cold Case führt die Polizei derzeit Vernehmungen jener Beschäftigten durch, die am Freitag vor der Tat im Betrieb im Einsatz waren. Besonders interessiert die Ermittler, ob sich jemand verdächtig verhalten oder auffällige Gespräche geführt hat. Hinweise aus der Bevölkerung sind ausdrücklich erwünscht – auch wenn sie erst Jahre später erinnert werden. Die Polizei weist darauf hin, dass der Täter möglicherweise im Laufe der Zeit über die Tat gesprochen haben könnte.
Eine Rolle könnte zudem eine bevorstehende Kündigungswelle gespielt haben, die kurz vor dem Tatzeitpunkt unter der Belegschaft bekannt wurde. Ob die Tat tatsächlich im Zusammenhang mit betriebsinternen Spannungen steht, ist bislang unklar. Die Ermittlungen hierzu laufen noch.
Bereits 2006 hatten die Ermittler im Umfeld des Opfers eine zweite, ebenfalls kontaminierte Flasche gefunden, die einem anderen Mitarbeiter zugeordnet war. Beim Öffnen der Flasche in der Polizeidienststelle traten giftige Dämpfe aus, die einen Beamten ohnmächtig werden ließen und einen weiteren verletzten. Dieser Vorfall verdeutlichte das enorme Risiko, mit dem die Einsatzkräfte damals konfrontiert waren.
Nach Einschätzung von Chemikern könnte das verwendete Natriumcyanid möglicherweise aus Beständen des Unternehmens stammen, in dem Johann Isaak beschäftigt war. Beweise für diese Vermutung liegen allerdings nicht vor. Der Umgang mit hochgiftigen Substanzen war dort zum damaligen Zeitpunkt Bestandteil des Arbeitsalltags.
Die Ermittlungsgruppe Cold Case bittet alle Personen, die Angaben zur Tat oder zu möglichen Gesprächen über den Fall machen können, sich zu melden. Auch scheinbar nebensächliche Beobachtungen oder Erinnerungen könnten entscheidend sein. Hinweise nimmt die Polizei Bielefeld entgegen.