
Im aufsehenerregenden Femizid-Prozess um die Tötung einer 31-jährigen Frau in Coesfeld hat das Landgericht Münster den Angeklagten am 22. Juli 2025 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der 39-Jährige seine getrennt lebende Ehefrau aus niedrigen Beweggründen und in heimtückischer Weise ermordet hat. Das Motiv: übersteigertes Besitzdenken, Wut über die Trennung und ein eskalierter Streit ums Sorgerecht.
Die Tat geschah am 4. Dezember 2024. Der Mann war laut Anklage in die Wohnung seiner Ex-Frau eingedrungen, indem er über den Balkon einstieg. Dort versteckte er sich im Schlafzimmer und lauerte ihr auf. Als die Frau nach Hause kam, soll er sie mit einer Kinder-Leggings erdrosselt haben. Die gemeinsamen Kinder waren zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause. Erst am Abend entdeckte ein Familienmitglied den leblosen Körper der jungen Mutter.
Nur wenige Tage nach der Tat wurde der Verdächtige festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Er stritt von Beginn an ab, mit Tötungsvorsatz gehandelt zu haben. Dennoch sah die Staatsanwaltschaft den Tatbestand des Mordes als erfüllt an – ebenso wie die Schwurgerichtskammer in Münster.
Im Juni und Juli 2025 wurden zahlreiche Zeugen vernommen, Gutachten ausgewertet und Spuren gesichert. In den Schlussplädoyers am 16. Juli forderten sowohl Staatsanwaltschaft als auch Nebenklage eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Nebenklage beantragte darüber hinaus die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Die Verteidigung hingegen plädierte auf Totschlag.
Das Gericht folgte jedoch der Einschätzung der Anklage und betonte in seiner mündlichen Urteilsbegründung die zwei Mordmerkmale: niedrige Beweggründe und Heimtücke. Besonders bemerkenswert ist, dass das Gericht das übersteigerte Besitzdenken des Angeklagten als zentrales Motiv für die Tat identifizierte – ein Ansatz, der zunehmend in Gerichtsverfahren mit geschlechtsspezifischem Gewaltkontext Anwendung findet.
Ob die Kammer auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt hat, blieb in der mündlichen Urteilsverkündung offen. Klarheit darüber wird erst die schriftliche Begründung bringen. Diese kann auch entscheidend für die angekündigte Revision sein, denn der Verurteilte kann innerhalb einer Woche Beschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen.
Der Fall von Coesfeld reiht sich ein in eine alarmierende Serie sogenannter Femizide in Deutschland. Immer häufiger erkennen Gerichte die Tötung von Frauen durch (Ex-)Partner nicht mehr nur als Beziehungstaten, sondern als Ausdruck patriarchaler Gewaltmuster. Genau diesen Punkt hob auch das Landgericht Münster hervor: Die Tat sei nicht aus einem spontanen Affekt heraus begangen worden, sondern aus einem Besitzdenken heraus, das sich gegen die Selbstbestimmung der Frau richtete.
Der Begriff „Femizid“ beschreibt die vorsätzliche Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist – also ein geschlechtsspezifisch motiviertes Tötungsdelikt. Besonders häufig sind sogenannte Intimpartner-Femizide, bei denen Ex-Männer oder aktuelle Partner töten, weil sie die Trennung nicht akzeptieren oder Kontrolle ausüben wollen.
In Deutschland gibt es bislang keinen eigenen Straftatbestand für Femizid. Stattdessen werden diese Taten strafrechtlich als Mord oder Totschlag nach § 211 oder § 212 StGB verfolgt. Trotzdem wird der Begriff zunehmend politisch und gesellschaftlich diskutiert, auch um die strukturelle Dimension dieser Taten sichtbar zu machen.
Laut Bundeskriminalamt wurden im Jahr 2023 in Deutschland 360 Frauen getötet – das entspricht nahezu einem Opfer pro Tag. 155 dieser Taten wurden durch aktuelle oder ehemalige Partner begangen. Hinzu kommen knapp 940 Fälle von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten an Frauen, von denen mehr als 80 % im Partnerschaftskontext geschahen.
Die Datenlage verbessert sich, doch das Dunkelfeld bleibt groß. Gerade bei vorausgehender häuslicher Gewalt oder Stalking sind viele Fälle nicht aktenkundig – obwohl bekannt ist, dass frühere Gewalttätigkeit einer der stärksten Risikofaktoren für spätere Tötungsdelikte ist.
Empirische Studien, etwa von der britischen Kriminologin Jane Monckton Smith, zeigen, dass viele Tötungen in einem vorhersehbaren Eskalationsmuster verlaufen. Der gefährlichste Zeitpunkt ist häufig die Trennung oder deren Ankündigung. Täter, die sich entmachtet fühlen, greifen aus dem Wunsch nach Kontrolle oder Rache zur Gewalt.
Auch im Fall von Coesfeld deuten die Hintergründe darauf hin: Die Trennung, der Streit ums Sorgerecht und der Kontrollverlust dürften den Täter zur Tat getrieben haben. Genau diese Dynamik bezeichnet das Gericht als „übersteigertes Besitzdenken“ – ein Ausdruck, der Femizid als gezielte Machtausübung kenntlich macht.
Deutschland hat seit 2023 die Istanbul-Konvention vorbehaltlos umgesetzt. Sie verpflichtet Bund und Länder dazu, geschlechtsspezifische Gewalt nicht nur zu erfassen, sondern auch wirksam zu verhindern. Doch trotz zahlreicher Schutzmaßnahmen – von Frauenhäusern über das Hilfetelefon 116 016 bis zu polizeilichen Gefährdungseinschätzungen – bleibt der Schutz oft lückenhaft.
Frühwarnsysteme: Etablierte Risikoeinschätzungen wie das SARA-Modell oder polizeiliche Checklisten können Hochrisikofälle erkennen – wenn sie konsequent eingesetzt werden.
Schutzmaßnahmen: Kontaktverbote, elektronische Fußfesseln oder der Entzug von Waffen können Täter stoppen – müssen aber rechtzeitig beantragt und kontrolliert werden.
Täterarbeit: Anti-Gewalt-Trainings zeigen messbare Effekte – allerdings nur bei verpflichtender Teilnahme und fachlicher Überwachung.
Monitoring: Nationale Femizid-Register, wie sie UN und OSZE fordern, existieren in Deutschland bislang nicht flächendeckend – dabei könnten sie wichtige Hinweise auf Muster und Präventionslücken liefern.
Im Fall Coesfeld hat die Verteidigung bereits angekündigt, eine Revision prüfen zu wollen. Ob die Revision erfolgreich ist, hängt ausschließlich davon ab, ob dem Gericht rechtliche Fehler unterlaufen sind – neue Beweise oder Bewertungen werden vom Bundesgerichtshof nicht berücksichtigt. Sollte der Schuldspruch Bestand haben, tritt die lebenslange Haftstrafe in Kraft – eine vorzeitige Entlassung ist dann frühestens nach 15 Jahren möglich, bei besonderer Schwere der Schuld sogar deutlich später.
Der Fall wird vermutlich weiter für Debatten sorgen – nicht nur juristisch, sondern auch gesellschaftlich. Denn er zeigt erneut, wie tödlich das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen im häuslichen Kontext sein kann – und wie wichtig es ist, Prävention, Opferschutz und politische Aufmerksamkeit zu bündeln.