
Münster. Der deutsche Spitzensport steht am Scheideweg. Seit Jahren sinkt die Zahl internationaler Erfolge. Die Kritik an der aktuellen Förderpolitik wächst. Besonders junge Athletinnen und Athleten kämpfen mit massiven strukturellen und finanziellen Problemen. Im Fokus steht dabei auch die Universität Münster – als Partnerhochschule des Spitzensports und Stimme für Veränderung. Im neuen „Umdenken“-Podcast der Universität analysiert Sportpsychologin Dr. Barbara Halberschmidt die Lage.
Ex-Olympiasieger Jens Lehmann kritisierte jüngst den sinkenden Medaillenspiegel: „Der deutsche Leistungssport befindet sich deutlich im Abwärtstrend.“ Und auch Andreas Michelmann, Präsident des Deutschen Handballbunds, fordert mehr Offenheit bei Sportstätten: „Wir brauchen offene Hallentüren statt Streit um Schlüsselgewalt.“
Die Ursachen für die Misere sind vielfältig – doch ein zentraler Punkt sind laut Halberschmidt finanzielle Hürden. Eltern würden zunehmend zu unfreiwilligen Hauptsponsoren ihrer Kinder. Doch nicht jeder könne sich das leisten. Das Resultat: Talent allein reicht nicht. Ohne Geld fehlen Zeit, Trainingsmöglichkeiten und Zugang zu Wettkämpfen.
Ein Beispiel für die strukturellen Probleme liefert die Universität Münster selbst. Rund 60 eingeschriebene Spitzensportlerinnen und -sportler müssen hier Studium, Training und Wettkämpfe miteinander vereinbaren. Ein Nebenjob sei da kaum noch möglich, so Halberschmidt. Die Uni versucht gegenzusteuern: Mit flexiblen Prüfungszeiten, freiem Zugang zu Sportanlagen und persönlicher Beratung will man den Spagat zwischen Leistungssport und Studium erleichtern.
Dennoch bleibt das Grundproblem bestehen: Wer aus einem finanzschwachen Elternhaus kommt, hat oft schlechtere Karten. Die sportpsychologische Betreuung ist zwar ein wichtiger Baustein, doch ohne ausreichend Zeit und Ressourcen für Training bleiben sportliche Erfolge aus.
Ein weiteres Thema, das in der öffentlichen Debatte oft übersehen wird, ist die mentale Verfassung junger Sportler. Halberschmidt betont: Auch wenn die Depressionsrate mit rund neun Prozent nicht über der der Allgemeinbevölkerung liege, sei die psychische Belastung enorm. Wettkampfdruck, ständige Leistungsbewertung und Zukunftsängste setzen vielen zu.
Deshalb fordert sie eine Enttabuisierung psychischer Probleme im Spitzensport in Deutschland. Immer mehr Sportlerinnen und Sportler gehen mit gutem Beispiel voran und sprechen offen über ihre Herausforderungen. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung, so Halberschmidt. Nur wer auch mental gesund sei, könne körperliche Spitzenleistungen erbringen.
Die Stimmen mehren sich: Es braucht neue Konzepte für den Spitzensport in Deutschland. Bessere Talentsichtung, mehr Trainer, mehr Hallen – und mehr finanzielle Unterstützung. Doch mindestens ebenso wichtig ist eine gesellschaftliche Wertschätzung für den Leistungssport. Derzeit fehlen diese Signale. Stattdessen regiert das Excel-Sheet, wie es der Sportvorstand des Leichtathletik-Verbands pointiert formulierte.
Wenn sich das nicht ändert, wird Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurückfallen. Und viele junge Talente werden den Spitzensport frühzeitig verlassen – nicht, weil ihnen der Wille fehlt, sondern die Mittel.