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Mehr Sicherheit durch private Patrouillen oder teurer Irrweg? Das plant Münsters Bahnhofsviertel

Ein neues Sicherheitskonzept soll das Bahnhofsviertel in Münster sicherer machen – durch privat finanzierte Patrouillen. Doch was bringt das wirklich?
Symbolbild: Obi

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Im Bahnhofsviertel von Münster wird aktuell ein neues Sicherheitskonzept diskutiert, das den Einsatz privat finanzierter Patrouillen vorsieht. Entwickelt wurde das Modell von der Sicherheitsfirma Aegis Protect und der Immobilien- und Standortgemeinschaft (ISG) Bahnhofsviertel Münster e. V. Ziel sei es, durch gemeinsame Streifendienste im öffentlichen Raum für mehr Sicherheit zu sorgen – insbesondere in Zeiten, in denen Polizei und Ordnungsamt weniger präsent sind. Doch wie wirksam ist dieser Ansatz tatsächlich? Und welche Risiken bringt er mit sich?

Kooperation statt Einzelauftrag: Das neue Modell im Überblick

Laut Konzept sollen sich möglichst viele Gewerbetreibende im Viertel zusammenschließen, um gemeinsam Sicherheitsdienste zu beauftragen. Anders als bisher würden die eingesetzten Kräfte nicht mehr nur vor einzelnen Geschäften stehen, sondern in kurzen, unregelmäßigen Intervallen von Ort zu Ort wechseln.

Das Konzept beruft sich dabei auf internationale Studien, die zeigen, dass sichtbare, flexible Präsenz an sogenannten Hot Spots durchaus zur Reduzierung von Kriminalität beitragen kann. Besonders wirkungsvoll seien problemorientierte Fußstreifen – vorausgesetzt, sie sind dauerhaft, datenbasiert und klar abgestimmt mit Polizei und städtischen Stellen. Doch genau das ist ein Knackpunkt, den Kritiker immer wieder betonen.

Die Rolle der ISG: Koordinierung und Legitimation

Zentrale Anlaufstelle für das Projekt ist die ISG Bahnhofsviertel Münster e. V. Als eingetragener Verein kann sie Gelder bündeln, Beteiligte koordinieren und gleichzeitig als vermittelnde Instanz auftreten. Im Idealfall soll die ISG sicherstellen, dass nicht nur große Unternehmen von dem Sicherheitskonzept profitieren, sondern auch kleinere Betriebe sich beteiligen können. Doch die Realität sieht oft anders aus: Ohne politische Unterstützung droht ein Ungleichgewicht – und genau darin sehen viele Beobachter ein Risiko.

Denn wenn Sicherheit zur Frage des Budgets wird, entsteht ein Pay-to-be-safe-Effekt. Wer zahlt, bekommt Präsenz – wer nicht zahlt, bleibt außen vor. Zwar sieht das Konzept vor, dass auch öffentlich-private Mischfinanzierungen möglich wären, doch dazu braucht es den politischen Willen und konkrete Förderzusagen. Derzeit ist offen, ob diese kommen werden.

Kontrolle, Transparenz und Grenzen: Was die Forschung wirklich sagt

Die begleitende Forschung spricht durchaus von positiven Effekten solcher Modelle. So zeigte eine Untersuchung an 41 britischen Bahnhöfen, dass zusätzliche private Patrouillen zu einem Rückgang opfergenerierter Straftaten um 16 Prozent führten. In US-Städten wie Philadelphia sanken die Deliktzahlen sogar um bis zu 60 Prozent – allerdings nur in klar abgegrenzten Zonen mit dauerhaften Einsätzen und hohem Koordinationsgrad.

Gleichzeitig weisen Studien darauf hin, dass rein beobachtende Patrouillen – etwa nach dem Prinzip „Observe and Report“ – kaum messbare Wirkung zeigen. Ohne Ausbildung, Deeskalationsstrategien und eine digitale Einsatzdokumentation verlieren solche Dienste schnell an Glaubwürdigkeit. Auch der rechtliche Rahmen ist eng: Eingesetzte Kräfte haben keine hoheitlichen Befugnisse, sondern dürfen lediglich im Rahmen der sogenannten Jedermann-Festnahme handeln (§ 127 StPO). Missverständnisse oder Kompetenzüberschneidungen mit der Polizei wären also vorprogrammiert, wenn keine klaren Abläufe definiert werden.

Politische und ethische Fragen: Sicherheit als öffentliche Aufgabe?

Kritisch diskutiert wird zudem, inwiefern die öffentliche Sicherheit überhaupt privatisiert werden darf – oder sollte. Die deutsche Sicherheitsforschung warnt seit Jahren vor einem schleichenden Legitimationsverlust staatlicher Institutionen, wenn Sicherheit zunehmend in private Hände verlagert wird. Zwar betont das Konzept aus Münster ausdrücklich, dass es sich um eine Ergänzung und nicht um eine Konkurrenz zur Polizei handeln soll. Doch auch dann bleiben Fragen offen: Wer kontrolliert die eingesetzten Kräfte? Wie werden Beschwerden behandelt? 

Das Konzept sieht zwar diverse Schutzmechanismen vor, doch ob diese Maßnahmen greifen, hängt am Ende von der konkreten Umsetzung ab.

Ein ambitioniertes Konzept mit offenen Fragen

Das Sicherheitskonzept für das Bahnhofsviertel ist durchdacht, detailliert und wissenschaftlich fundiert – zumindest in Teilen. Es setzt auf Kooperation, gezielte Präsenz und strukturierte Kommunikation. Gleichzeitig aber wirft es grundlegende Fragen zur Rolle privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum auf. Ohne klare Regeln, Transparenz und politische Begleitung droht ein Modell zu entstehen, das nicht alle mitnimmt, sondern bestehende Ungleichheiten vertieft.

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