
Die Stadt Münster darf in ihrer Stadtbücherei keine wertenden Hinweise auf sogenannte „umstrittene“ Inhalte mehr anbringen. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen am 8. Juli 2025 entschieden. Die Kennzeichnung mit einem Einordnungshinweis verstoße gegen die Meinungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Autoren. Außerdem fehle eine gesetzliche Grundlage im Kulturgesetzbuch NRW. Damit ist klar: Die Stadtbücherei Münster muss den Warnhinweis entfernen.
Die Entscheidung des Gerichts betrifft einen Aufkleber, der seit 2024 auf zwei Büchern in der Stadtbücherei Münster prangte. Dort stand: „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“ Ziel war es laut Stadt, auf problematische Inhalte hinzuweisen. Doch genau das ist künftig nicht mehr erlaubt.
Der 5. Senat des OVG stellt in seiner Entscheidung klar: Der Hinweis verletze das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und beeinträchtige das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Autoren. Denn durch die Formulierung würden im Buch enthaltene Meinungen negativ konnotiert. Leser könnten dadurch abgeschreckt werden – und das sei unzulässig. Bibliotheken hätten den Auftrag, Informationen neutral und frei zugänglich bereitzustellen. Eine Bewertung oder Lenkung sei damit nicht vereinbar.
Die Stadt Münster muss nun schnell handeln. Der Hinweis auf den Büchern von Gerhard Wisnewski und Jacques Baud ist zu entfernen. Beide Werke waren nach Nutzerbeschwerden mit dem Aufkleber versehen worden, weil sie unter anderem historische Ereignisse wie die Mondlandung oder den Atombombenabwurf auf Hiroshima infrage stellen.
Zwar könne eine Bibliothek laut Gericht selbst entscheiden, ob sie ein Buch anschaffe oder nicht. Doch wenn sie sich für die Aufnahme in den Bestand entscheide, sei eine neutrale Bereitstellung ohne Bewertung verpflichtend. Genau daran habe sich die Stadtbücherei Münster nicht gehalten.
Ein zentrales Argument des Gerichts: Im Kulturgesetzbuch NRW gebe es keine rechtliche Grundlage für wertende Hinweise in Bibliotheken. Vielmehr betone das Gesetz ausdrücklich das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf ungehinderte Information. Deshalb dürften öffentliche Bibliotheken keine Lesermeinung durch Warnhinweise beeinflussen.
Das Gericht grenzt sich damit klar von der Auffassung des Verwaltungsgerichts Münster ab. Dieses hatte im April 2025 noch entschieden, dass Bibliotheken im Rahmen ihres Bildungsauftrags auch kritisch einordnen dürften. Doch das OVG betont: Während Schulen durchaus pädagogisch wirken sollen, seien Bibliotheken Orte der freien Meinungsbildung – nicht der Bewertung.
Obwohl das Verfahren zunächst im Eilrechtsschutz stattfand, hat der Beschluss eine weitreichende Bedeutung. Denn er ist unanfechtbar und setzt neue Maßstäbe. Für andere Bibliotheken bedeutet das: Warnhinweise mit Formulierungen wie „umstritten“ oder „nicht demokratisch“ dürften künftig kaum noch haltbar sein – zumindest in Nordrhein-Westfalen. Sachliche Hinweise aus dem Jugend- oder Medienrecht, wie Altersfreigaben, sind davon nicht betroffen.
Die Stadtbücherei Münster muss nun nicht nur den konkreten Hinweis entfernen, sondern vermutlich auch ihre internen Richtlinien überprüfen. Landesweit ist mit einer Überarbeitung von Leitfäden in Bibliotheken zu rechnen.
Auch wenn es sich beim Urteil um eine Eilentscheidung handelt, ist eine Kehrtwende im Hauptsacheverfahren unwahrscheinlich. Angesichts der klaren Argumentation dürfte die Stadt eher auf eine einvernehmliche Lösung setzen. Möglich ist auch, dass der Landtag NRW das Kulturgesetz künftig ergänzt, etwa um sachliche Kontextualisierungen ausdrücklich zu erlauben. Doch das wäre politisch brisant. Denn eine solche Ergänzung könnte schnell als gesetzlich legitimierte Zensur wahrgenommen werden.