Provinzial Logo
Consident.de

Schön geworden – aber keiner sieht’s: Der stille Kampf am Bremer Platz

Der Bremer Platz in Münster wurde neu gestaltet – doch das Stigma bleibt. Warum die Realität besser ist als ihr Ruf, zeigt das Beispiel von Immi’s Kaffebar.
ms-aktuell.de

Teilen:

Münster – Wer heute am Bremer Platz vorbeikommt, sieht viel – aber offenbar nicht das, was viele Menschen in Münster dort zu sehen glauben. Die Fläche hinter dem Hauptbahnhof ist aufgeräumt, begrünt, gegliedert. Ein Wasserspiel läuft, Bänke stehen bereit, eine Calisthenics-Anlage wartet auf Bewegung. Und mittendrin: ein Kaffeewagen. Drei Tage in der Woche serviert Helmut Imberge hier Cappuccino und Espresso – und kämpft damit gegen etwas, das schwerer zu bekämpfen ist als Schmutz oder Kriminalität: das Image.

Der Bremer Platz ist in Münster so etwas wie eine kollektive Projektionsfläche. Jahrelang war er Anlaufpunkt für Drogenkonsumierende, ein Ort der Wegschau-Politik, ein Schandfleck in Bahnhofsnähe. Die Stadt hat ihn umgebaut – mit viel Aufwand, klarer sozialpolitischer Vision und großem baulichen Engagement. Der Platz ist heute kein Angstraum mehr, zumindest nicht objektiv. Aber sein Ruf hat die Umgestaltung überlebt.

Kaffee gegen Klischees

Helmut Imberge kennt diesen Ruf. Er stellt sich ihm entgegen, mit einem einfachen Mittel: Kaffee. „Immi’s Kaffebar“ heißt sein mobiler Stand. An drei Tagen pro Woche steht er damit auf dem Bremer Platz – auf Anregung des Quartiersmanagements, das hier gezielt positive Impulse setzen will. Imberge hat früher bei BASF gearbeitet. Heute verkauft er mit ruhiger Stimme und echtem Interesse Heißgetränke im öffentlichen Raum – aber fast niemand bleibt stehen.

„Ich habe das Gefühl, die Leute meiden den Platz nicht, weil er schlimm ist, sondern weil sie glauben, dass er es ist“, sagt er. Wenn er an anderen Tagen im Geißviertel steht, läuft das Geschäft. Hier? Eher zäh. Er sieht: Der Platz ist besser als sein Ruf. Aber dieser Ruf ist hartnäckig.

Realer Wandel – aber eine unsichtbare Grenze

Im Gespräch mit Menschen, die den Platz nutzen – Sitzende, Wartende, Vorbeigehende – entsteht ein erstaunlich positives Bild. Viele loben die Sauberkeit, die Struktur, die Ruhe. Eine ältere Dame sagt: „Ich bin überrascht, wie schön es hier geworden ist.“ Eine junge Frau ergänzt: „Ich bin nicht oft hier. Aber ich sehe keine Spritzen, keine Gewalt. Die Geschichten, die man hört, stimmen nicht mehr.“

Und doch: Mit dem Einbruch der Dunkelheit kippt die Wahrnehmung. Nicht, weil sich der Ort verändert. Sondern weil sich die Erzählung durchsetzt. Die meisten Befragten geben an, den Platz abends zu meiden – „einfach sicherheitshalber“. Die Angst ist diffus, meist nicht aus Erfahrung gespeist, sondern aus dem kollektiven Gedächtnis. Es ist nicht der reale Zustand, der abschreckt – es ist der Ruf.

Eine Stadt im Widerspruch

Die Stadt Münster hat am Bremer Platz mehr umgesetzt als bloße Kosmetik. Hier wurde versucht, soziale Realität zu akzeptieren, statt sie zu verdrängen. Für Menschen mit Suchterkrankungen wurde ein eigener Bereich geschaffen – sichtbar, aber betreut. Für Familien, Pendler und Spaziergänger wurde Raum zur Begegnung geschaffen. Der Platz ist heute ein Ort mit Ecken, aber ohne Zynismus. Und dennoch bleibt er leerer als er sein müsste.

Der Bremer Platz zählt laut Polizeistatistik zu den Orten mit überdurchschnittlicher Messergewalt. Acht Fälle mit Stichwaffen wurden 2024 registriert. Gleichzeitig setzt die Stadt auf Präsenz, auf Sozialarbeit, auf Kontrollen, auf sichtbares Handeln. Das Sicherheitsgefühl tagsüber scheint stabil. Doch das Bild vom „gefährlichen Platz“ ist weiterhin dominant – in Erzählungen, in sozialen Medien, in der städtischen Mythologie.

Eine Frage der Perspektive

Vielleicht ist das größte Problem des Bremer Platzes nicht das, was dort geschieht – sondern das, was über ihn gesagt wird. Vielleicht ist er weniger ein Ort des realen Unbehagens als ein Symbol, an dem sich die Angst vor dem Unordentlichen, dem Nicht-Geplanten, dem Wilden entzündet.

Helmut Imberge sagt es so: „Man hat das Gefühl, die Menschen erzählen sich immer noch dieselbe Geschichte – aber der Platz hat sich längst weiterentwickelt.“ Und vielleicht ist genau das das Problem: Die Realität hat sich verändert. Die Narrative nicht.

Ein Platz will gesehen werden

Vielleicht beginnt das Ende des Stigmas nicht mit großen Gesten, sondern mit einem kleinen Espresso bei Helmut Imberge. Und dem Entschluss, einmal genauer hinzusehen.

Teilen:

Münster Map
Route anzeigen

Mehr Beiträge: