
Münster. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) in Münster steht vor einem personellen Neustart: Dr. Carsten Alexander Günther, bislang Richter am Bundesverwaltungsgericht, soll in Kürze offiziell zum Präsidenten des OVG ernannt werden. Nach fast vier Jahren Vakanz, mehreren juristischen Auseinandersetzungen und einem laufenden Untersuchungsausschuss im Landtag gilt der Weg nun als frei. Spätestens Mitte August soll die Ernennung erfolgen.
Das nordrhein-westfälische Justizministerium geht davon aus, dass die formale Versetzung Günthers in den Landesdienst durch das Bundesjustizministerium „im Laufe der nächsten Woche“ abgeschlossen wird. Direkt im Anschluss könne die Landesregierung die Ernennungsurkunde ausstellen. Eine neue Konkurrentenklage liegt nicht vor. Die Zwei-Wochen-Frist für rechtliche Schritte des unterlegenen Mitbewerbers ist abgelaufen. Damit sind alle juristischen Hürden für die Berufung Günthers aus dem Weg geräumt.
Die Präsidentenstelle war seit dem Ruhestand von Ricarda Brandts im Mai 2021 unbesetzt. Das Auswahlverfahren geriet schnell in den Fokus der Justiz und Öffentlichkeit, weil es sich ungewöhnlich lange hinzog. Mehrere Bewerberinnen und Bewerber kamen und gingen, Favoriten wechselten, und ein erster Auswahlbeschluss wurde sogar vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Besonders brisant: Justizminister Benjamin Limbach hatte 2024 einer langjährigen Bekannten den Vorzug gegeben – unter fragwürdigen Umständen.
Das Bundesverfassungsgericht rügte nicht nur inhaltliche Mängel, sondern auch fehlende Transparenz und sachwidrige Kriterien bei der Auswahl. Infolge dieser Entscheidung untersucht ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) im Düsseldorfer Landtag derzeit mögliche politische Einflussnahme. Der Verdacht: Ämterpatronage. Auch Günther selbst sagte dort als Zeuge aus und widersprach dabei einer eidesstattlichen Versicherung des Ministers – ein ungewöhnlich scharfer Vorgang in der Justizwelt.
Der designierte Präsident bringt jahrzehntelange Erfahrung mit. Geboren 1969 in Duisburg, promovierte er 1998 an der Universität Münster im Völkerrecht. Danach war er viele Jahre in der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit tätig, unter anderem am VG Köln und am OVG in Münster selbst. Auch Stationen im Justizministerium und in der Staatskanzlei zählen zu seiner Laufbahn. Seit 2015 ist Günther Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dort vor allem für das Dienst- und Beamtenrecht zuständig. Zwischen 2021 und 2024 war er selbst mehrfach Kläger in den OVG-Besetzungsverfahren – und gewann unter anderem vor dem Bundesverfassungsgericht.
Bevor Günther sein neues Amt antreten kann, muss der Bund seine Versetzung offiziell vollziehen. Danach wird die Landesregierung in Düsseldorf die Ernennung formal bestätigen. Die Amtseinführung in Münster dürfte noch im August stattfinden. Beobachter rechnen damit, dass das OVG den Neustart auch symbolisch nutzen wird – nicht zuletzt gegenüber der Politik. Denn das Gericht steht vor großen Aufgaben:
Der Aktenrückstau der Vakanz muss abgearbeitet werden,
Ein neues Präsidium ist zu wählen,
Und dem Landtag steht ein Bericht bevor, sobald der Untersuchungsausschuss seine Arbeit abgeschlossen hat.
Der Fall Günther steht exemplarisch für eine neue Ära in der Besetzung von Spitzenämtern in der Justiz. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind Auswahlverfahren deutlich transparenter geworden – und gleichzeitig juristisch angreifbarer. Konkurrentenklagen haben sich zu einem regelmäßigen Kontrollmechanismus entwickelt. Ministerien müssen heute interne Vermerke offenlegen und ihre Auswahl nachvollziehbar begründen. Auch Gleichstellungs- und Diversitätskriterien müssen sachgerecht mit der Bestenauswahl in Einklang gebracht werden.
Mehrere Länder prüfen inzwischen ihre Auswahlverfahren, um künftig nicht erneut vom Bundesverfassungsgericht gerügt zu werden. Die Affäre rund um das OVG Münster hat also weitreichende Folgen – sie markiert einen Wandel hin zu mehr Transparenz und Kontrolle in der Justizverwaltung.
Auch wenn die Ernennung Günthers nun bevorsteht, ist die politische Aufarbeitung längst nicht abgeschlossen. Der Untersuchungsausschuss im Landtag tagt weiter. Neue Dokumente könnten weitere Fragen aufwerfen – nicht nur zum Umgang mit der Präsidentenstelle, sondern auch zur Rolle des Justizministeriums insgesamt. In Münster aber dürfte bald wieder mehr Ruhe einkehren – jedenfalls, was die Spitze des OVG betrifft.