Provinzial Logo
Consident.de

Wenn der graue Star keiner ist: Münsteraner fast erblindet – Hirntumor wurde zu spät erkannt

Ein Patient aus Münster verlor fast sein Augenlicht: Statt grauem Star steckte ein Hirntumor dahinter. Warum bei Sehverlust mehr geprüft werden muss.Clemenshospital
Foto: Alexianer CLE_Hypophysenadenom: Andreas Wilke (l.) kann dank des Eingriffs von Prof. Dr. Uta Schick wieder sehen.

Teilen:

Münster. Es begann mit einem vermeintlich harmlosen Sehverlust, wie ihn viele ältere Menschen erleben. Andreas Wilke, heute 71 Jahre alt, suchte bereits 2016 wegen zunehmender Sehstörungen seinen Augenarzt auf. Die Diagnose schien eindeutig: Grauer Star, medizinisch Katarakt. Eine Operation an den Augen folgte. Doch die erhoffte Besserung blieb aus – im Gegenteil. Wilke fühlte sich zusätzlich antriebslos, müde und kraftlos. Dass hinter diesen Symptomen ein vier Zentimeter großer Hirntumor steckte, wurde erst zwei Jahre später erkannt – viel zu spät.

MRT bringt die erschreckende Wahrheit ans Licht

Im Jahr 2018 veranlasste schließlich ein Arzt im Clemenshospital Münster eine Magnetresonanztomographie. Der Befund: ein Hypophysenadenom, das bereits stark gewachsen war und den Sehnerv nach oben verdrängte. Die Folge: Schäden am Sehnerv, die sich inzwischen auch funktional zeigten. Die Diagnose war ein Schock – und eine Erklärung zugleich. Denn die typischen Symptome eines Hypophysentumors wie Sehstörungen, chronische Erschöpfung und hormonelle Veränderungen waren bei Andreas Wilke allesamt vorhanden. Trotzdem war lange niemand auf die Idee gekommen, über den Augapfel hinaus zu schauen.

Die behandelnde Neurochirurgin am Clemenshospital, Prof. Dr. Uta Schick, kennt solche Fälle gut. „Wir erleben es leider immer wieder, dass bei Problemen mit der Sehfähigkeit nur die Augen untersucht werden und nicht daran gedacht wird, dass ein Tumor die Ursache sein könnte“, sagt sie. In Wilkes Fall war der Tumor durch die Nase operativ erreichbar. Die Operation verlief kompliziert, weil die Nähe zu den empfindlichen Nervenstrukturen keinen vollständigen Eingriff zuließ. Kleine Tumorreste mussten im Körper verbleiben.

Fehldiagnose trotz Vorgeschichte – der Tumor kehrt zurück

Nach der ersten OP schien zunächst alles gut verlaufen zu sein. Bei zwei Nachkontrollen wurden keine Auffälligkeiten festgestellt. Doch als Wilke einige Zeit später erneut unter starken Sehproblemen litt, dachte niemand an ein Rezidiv des Tumors. Auch er selbst nicht – denn diesmal blieb die chronische Müdigkeit aus, die ihn beim ersten Mal begleitet hatte.

Trotz seiner Vorgeschichte wurde Wilke erneut nur augenärztlich untersucht – mit fatalem Ergebnis. Er wurde von einem Augenarzt zum nächsten geschickt, erhielt Diagnosen wie grauer Star, grüner Star und Netzhautriss. Dass sich der Tumor erneut gebildet haben könnte, zog niemand ernsthaft in Betracht. Erst ein Arzt im Augenzentrum Münster empfahl schließlich ein weiteres MRT. Da war es fast zu spät: Wilke war nahezu erblindet.

„Der Sehnerv wurde durch den Tumor wie ein Gummiband gedehnt und war nur noch hauchdünn“, erklärt Prof. Dr. Schick. Der Eingriff musste dieses Mal über einen seitlichen Zugang erfolgen, weil die erste OP durch die Nase bereits zu Vernarbungen geführt hatte. Die Operation war erneut erfolgreich – mit sichtbarem Ergebnis. „Als ich aufwachte, konnte ich das Gesicht des Arztes sehen, der an meinem Bett stand. Vor der OP war das undenkbar“, sagt Wilke erleichtert.

Warnung an Augenärzte und Patienten

Die Neurochirurgin am Clemenshospital findet trotz des medizinischen Erfolgs klare Worte. „Es ist im Interesse der Patientinnen und Patienten sehr wichtig, dass Augenärzte über den Tellerrand hinausblicken und neben der Untersuchung der Augen auch immer daran denken, dass es Tumorerkrankungen gibt, die den Sehnerv beeinflussen können.“ Oft seien Sehstörungen nicht rein ophthalmologischen Ursprungs – vor allem dann, wenn sie einseitig auftreten oder nicht zur sonstigen Augenbefundlage passen.

Auch die Rolle der Patientinnen und Patienten sei entscheidend. „Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind essenziell, um ein erneutes Tumorwachstum frühzeitig zu erkennen“, betont Prof. Dr. Schick. Bei Hypophysenadenomen sei es nicht ungewöhnlich, dass sich nach Jahren erneut Tumorgewebe bilde, insbesondere wenn bei der ersten Operation Reste verbleiben mussten.

Hypophysenadenome – die versteckten Tumore

Hypophysenadenome sind gutartige Tumoren der Hirnanhangsdrüse. Sie wachsen langsam, können aber aufgrund ihrer Lage im Schädel erhebliche Folgen haben. Die Hypophyse sitzt direkt unter dem Sehnervenkreuzungspunkt, dem sogenannten Chiasma opticum. Ein wachsender Tumor kann dort Sehnerven nach oben drücken – oft mit bitemporalen Gesichtsfeldausfällen oder plötzlichem Verlust der Sehschärfe. Da Hypophysenadenome häufig hormonell aktiv sind, kommen zudem Symptome wie Gewichtsschwankungen, Erschöpfung, Libidoverlust oder Stimmungsschwankungen hinzu.

Besonders gefährlich wird es, wenn die Diagnose verschleppt wird – etwa durch eine vorschnelle Zuordnung der Beschwerden zu altersbedingten Augenkrankheiten wie grauem Star. Ein MRT ist in solchen Fällen das einzige Mittel, um Klarheit zu schaffen.

Teilen:

Münster Map
Zum Aktivieren tippen
Route anzeigen

Mehr Beiträge: