
Letzte Woche kam es an den Aktienmärkten zu panikartigen Verkäufen – ein Börsencrash, ausgelöst durch überraschende politische Entscheidungen, ließ die Kurse in den Keller rauschen. Ausgerechnet in diesem turbulenten Moment versagten bei vielen Neo-Brokern wie Trade Republic, Scalable Capital oder Finanzen.net Zero die Systeme. Zahlreiche Nutzer berichteten, dass ihre Broker-App nicht mehr richtig funktionierte: Aktuelle Kurse wurden nicht angezeigt, Depots standen plötzlich auf „0“ und Kauf- oder Verkaufsorders ließen sich zeitweise gar nicht ausführen. Als wenig später die Märkte wieder nach oben sprangen, konnten einige Privatanleger erneut nicht reagieren. Diese doppelten technischen Ausfälle – beim Absturz und bei der Erholung der Kurse – sorgten für Frust und potenziell empfindliche Verluste. Jetzt stellen sich viele die Frage: Haben betroffene Kunden Anspruch auf Schadensersatz oder eine Entschädigung?
Grundsätzlich gilt: Wenn Anleger aufgrund einer Systemstörung nicht handeln konnten und dadurch ein konkreter finanzieller Schaden entstanden ist, können Schadensersatzansprüche bestehen. Online-Broker haben vertraglich die Pflicht, Orders schnellstmöglich und ordnungsgemäß auszuführen. Bleibt dieser Service aus, liegt unter Umständen eine Pflichtverletzung vor. Entscheidend ist, dass der Broker die Störung verschuldet hat – zum Beispiel durch unzureichende IT-Kapazitäten oder mangelnde Vorkehrungen für Hochlastzeiten. Kurzzeitige Ausfälle können zwar immer mal passieren, besonders in extrem volatilen Phasen. Doch wiederholte oder langandauernde Störungen zu entscheidenden Börsenzeiten sind nicht hinzunehmen. In solchen Fällen könnte dem Anbieter ein Versäumnis vorgeworfen werden, seinen technischen Betrieb robust genug aufzustellen. Beispiel: Wenn ein Kunde eine Verkaufsorder wegen der App-Störung nicht rechtzeitig platzieren konnte und die Aktie danach weiter an Wert verlor, liegt ein messbarer Schaden vor – der Broker könnte dafür haften, sofern er die Nicht-Ausführung zu vertreten hat. In früheren Gerichtsentscheidungen wurden Online-Broker bereits zur Verantwortung gezogen, wenn sie mit „sekundenschneller“ Orderausführung werben, aber Orders durch eigene Versäumnisse massiv verzögern. Wichtig: Ein Anspruch besteht nur bei konkretem, nachweisbarem Schaden. Theoretische Verluste (etwa weil man immer noch investiert ist und der Kurs sich später wieder erholen könnte) zählen rechtlich nicht – es muss ein real eingetretener finanzieller Nachteil vorliegen.
Die juristische Basis für Entschädigungen liegt im Vertragsrecht. Mit der Konto- und Depot-Eröffnung schließen Kunden und Broker einen Vertrag, der den reibungslosen Zugang zum Handel vorsieht. Erfüllt der Broker diese vertragliche Hauptpflicht nicht, kann ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) in Betracht kommen. Voraussetzung ist ein Fehlverhalten des Brokers (z.B. Fahrlässigkeit bei der IT-Infrastruktur) und ein daraus resultierender Schaden beim Kunden. Produkthaftung im klassischen Sinne greift hier in der Regel nicht, da sie vor allem für Sach- oder Personenschäden durch fehlerhafte Produkte konzipiert ist. Bei einer ausgefallenen Trading-App handelt es sich jedoch um eine Dienstleistung/Software, bei der finanzielle Verluste durch Leistungsstörungen eher über das Vertrags- und Haftungsrecht abgewickelt werden. Zusätzlich spielt das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) eine Rolle: Es verpflichtet Finanzdienstleister, im Regelbetrieb für eine zuverlässige Ausführung von Kundenaufträgen zu sorgen. War die extreme Kursbewegung absehbar oder zumindest einkalkulierbar, dürfte der Broker sich nicht einfach auf „höhere Gewalt“ herausreden können. Die Abgrenzung ist allerdings schwierig – im Zweifel entscheiden Gerichte, ob ein Ereignis noch unvorhersehbar war oder ob der Broker nachlässig gehandelt hat. Verbraucherschützer weisen darauf hin, dass es seit Jahren bei starken Marktbewegungen immer wieder ähnliche Beschwerden gibt. Das zeigt, dass solche Störungen kein völlig neues Phänomen sind und Broker hier vorbeugen müssen.
Viele Neo-Broker und Direktbanken versuchen, ihre Haftung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einzuschränken. Häufig findet sich eine Klausel, die sinngemäß besagt: „Wir haften nicht für technische Störungen oder höhere Gewalt“. In den AGB von Trade Republic beispielsweise ist geregelt, dass das Unternehmen nicht für Schäden durch nicht von ihm zu vertretende Umstände (etwa Stromausfall, Netzstörung, Streik oder behördliche Eingriffe) haftet. Zudem weisen Broker darauf hin, dass zeitweilige Einschränkungen beim Online-Zugang nie völlig auszuschließen sind. Allerdings haben solche Haftungs-Ausschlüsse rechtliche Grenzen. Nach deutschem Recht sind Klauseln, die Kunden unangemessen benachteiligen, unwirksam. Ein vollständiger Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit in Hauptleistungspflichten hält einer gerichtlichen Überprüfung oft nicht stand. Mit anderen Worten: Wenn dem Broker zumindest grobe Fahrlässigkeit oder strukturelle Mängel nachgewiesen werden können, kann er sich nicht einfach hinter seinen AGB verstecken. Insbesondere wenn eine Störung vorhersehbar war (z.B. weil ähnliche Probleme schon früher bei hoher Last auftraten) und der Anbieter dennoch keine ausreichenden Maßnahmen traf, greifen Haftungsprivilegien in den Geschäftsbedingungen nicht. Verbraucheranwälte betonen, dass solche AGB-Verweise Anleger nicht abschrecken sollten: Entscheidend ist immer der konkrete Einzelfall und ob dem Broker ein Verschulden anzulasten ist.
Wie haben die betroffenen Neo-Broker selbst reagiert? Eine offizielle Entschuldigung oder pauschale Entschädigungsangebote blieben zunächst aus. Trade Republic äußerte sich öffentlich kaum zu den Vorfällen. Auf Anfrage betonten sowohl Trade Republic als auch Scalable Capital lediglich, dass der Handel “jederzeit möglich” gewesen sei – trotz der beschriebenen Probleme. Die Unternehmen sprachen von „vereinzelt auftretenden Ladeverzögerungen“ aufgrund extremer Marktschwankungen. Mit anderen Worten: Aus ihrer Sicht gab es keinen totalen Ausfall, und wer doch betroffen war, müsse dies individuell nachweisen (etwa durch Screenshot einer Fehlermeldung). Für frustrierte Anleger klingt das wenig entgegenkommend. Kulanzregelungen wie automatische Gutschriften oder pauschale Schadenersatz-Zahlungen sind bislang nicht bekannt. Entsprechend werden Kunden wohl aktiv werden müssen, um Ansprüche durchzusetzen.
Unterdessen haben Verbraucherschützer und Aufsichtsbehörden den Druck erhöht. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) forderte von den betroffenen Anbietern schnelle Aufklärung und Lösungen, damit sich solche Pannen nicht wiederholen – denn das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit digitaler Broker steht auf dem Spiel. Auch die Verbraucherzentrale beobachtet die Lage: Experten wie Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg raten betroffenen Anlegern, sich mit ihren Beschwerden an die BaFin zu wenden. Zwar entscheidet die BaFin nicht über individuelle Schadenersatzansprüche, doch eine häufende Anzahl von Beschwerden kann eine offizielle Prüfung auslösen. Eine solche Untersuchung könnte Schwachstellen bei den Brokern offenlegen und so indirekt die Verhandlungsposition der Kunden stärken. Insgesamt machen Verbraucherschützer klar: Ein einfaches freundliches Anschreiben an den Broker genügt meistens nicht – erst wenn juristischer Druck im Raum steht, steigt die Bereitschaft der Institute, sich kulant zu zeigen oder Vergleiche anzubieten, um einen öffentlichen Gerichtsprozess zu vermeiden.
Wer glaubt, durch die Ausfälle finanziell geschädigt worden zu sein, sollte systematisch vorgehen. Folgende Schritte empfehlen sich, um einen möglichen Entschädigungsanspruch vorzubereiten:
Beweise sichern: Dokumentieren Sie genau, wann und wie die Störung auftrat. Machen Sie Screenshots von Fehlermeldungen oder nicht ausführbaren Orders. Notieren Sie Datum und Uhrzeit sowie welche Wertpapiere betroffen waren. Halten Sie auch fest, was Sie ohne die Störung getan hätten (z.B. „Am 7.4. um 10:05 Verkaufsorder für 100 XY-Aktien zum Kurs von 50 € geplant, Order konnte nicht abgesetzt werden“). Je lückenloser die Dokumentation, desto besser.
Schaden beziffern: Rechnen Sie aus, welcher Verlust Ihnen entstanden ist. Beispiel: Hätten Sie ohne Ausfall bei Kurs X verkauft, tatsächlich konnten Sie erst bei deutlich niedrigerem Kurs Y verkaufen – die Differenz ist Ihr Schaden. Oder: Sie wollten zum Tiefpunkt kaufen und später teurer verkaufen, dies war wegen der Störung nicht möglich – hier wäre der entgangene Gewinn ansetzbar. Wichtig: Solange Sie die Position noch halten und kein Verkauf erfolgt ist, liegt rechtlich kein realisierter Schaden vor.
Broker informieren: Nehmen Sie umgehend Kontakt mit dem Broker auf. Melden Sie die Störung schriftlich (etwa per E-Mail oder über das Kontaktformular) und schildern Sie den Vorgang inklusive Belege. Fordern Sie eine Stellungnahme und weisen Sie darauf hin, dass Sie aufgrund der technischen Probleme einen Verlust erlitten haben. Manche AGB sehen vor, dass gewisse Probleme zeitnah gemeldet werden müssen – zögern Sie also nicht.
Frist setzen und reagieren: Geben Sie dem Unternehmen eine angemessene Frist zur Klärung oder Regulierung Ihres Anliegens. Kommt nur eine pauschale Ablehnung unter Verweis auf die AGB oder gar keine Reaktion, bleiben Sie hartnäckig. Lassen Sie sich nicht mit Standardfloskeln abspeisen.
Rechtlichen Rat einholen: Wenn der Broker nicht einlenkt, ziehen Sie eine juristische Prüfung in Betracht. Wenden Sie sich an eine Kanzlei, die auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert ist. Viele Verbraucheranwälte (etwa Dr. Stoll & Sauer oder Klamert & Partner) bieten kostenlose Ersteinschätzungen oder Online-Checks für Betroffene an. Ein Anwaltsschreiben kann den nötigen Druck erzeugen – Banken und Broker wollen Imageschäden durch Gerichtsprozesse meist vermeiden und zeigen sich eher verhandlungsbereit, sobald ein Jurist involviert ist.
Gemeinsam vorgehen: Falls sehr viele Anleger betroffen sind, könnte ein Musterverfahren oder eine gebündelte Aktion sinnvoll sein. Zwar gibt es in Deutschland keine klassische Sammelklage wie in den USA, doch Verbraucherkanzleien bündeln oft gleichgelagerte Fälle, um effizienter vorgehen zu können. Bleiben Sie informiert, ob etwa eine Interessengemeinschaft oder die Verbraucherzentrale eine kollektive Lösung anstrebt. Gemeinsamkeit kann den Druck auf den Anbieter erhöhen.
Nicht jeder kurze App-Ausfall berechtigt automatisch zu einer Zahlung – doch im aktuellen Fall waren die Störungen gravierend und für viele Anleger sehr wohl folgenreich. Die rechtlichen Chancen auf Entschädigung stehen daher durchaus im Raum, sofern man als Betroffener den Schaden belegen kann und der Broker seine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Anleger sollten sich von abwiegelnden Antworten in den AGB oder vom Kundenservice nicht entmutigen lassen. Wichtig sind eine saubere Aufbereitung des Vorfalls und notfalls die Unterstützung durch Experten. Verbraucherschutz-Organisationen und Anwälte haben bereits angekündigt, die Sache genau unter die Lupe zu nehmen. Letztlich geht es nicht nur um individuelle Verluste, sondern auch darum, dass Neo-Broker ihre Systeme verbessern und Verantwortung für ihre Versprechen übernehmen. Wer sein Geld online anlegt, darf erwarten, auch in stürmischen Börsenzeiten handeln zu können – und wenn das nicht möglich war, sollten Unternehmen für entstandene Schäden gerade stehen.
Dieser Artikel wurde nach bestem Wissen und aktuellem Stand journalistisch aufbereitet. Er dient ausschließlich der allgemeinen Information über mögliche rechtliche Schritte im Zusammenhang mit technischen Ausfällen bei Neo-Brokern. Er stellt keine Rechtsberatung dar und ersetzt nicht die individuelle Prüfung eines Einzelfalls durch eine juristische Fachperson. Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr.