
Münster. Ein Urteil aus Baden-Württemberg sorgt derzeit bundesweit für Aufmerksamkeit – und wirft zugleich ein Schlaglicht auf eine frühere Entscheidung aus Münster. Das Amtsgericht Weinheim hat den bekannten Anti-Abtreibungsaktivisten Klaus Günter Annen wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 3.600 Euro verurteilt. Auslöser war ein älterer Flyer seines Vereins „Christliche Mitte“, den Annen erneut auf seiner inzwischen indizierten Website veröffentlicht hatte. In dem Text wurden homosexuelle Männer pauschal mit der drastischen Behauptung in Verbindung gebracht, sie seien für „Millionen Aids-Tote“ verantwortlich. Das Gericht bewertete diese Darstellung als gezielte Herabwürdigung einer Bevölkerungsgruppe und damit als strafbare Volksverhetzung. Annen kündigte Berufung an.
Im Zentrum des Verfahrens stand ein Text, der Homosexualität als moralisch minderwertig beschrieb und homosexuelle Menschen als angeblich gefährliche Gruppe darstellte. Neben problematischen Formulierungen fanden sich darin Anschuldigungen, die homosexuellen Männern ein vorsätzliches Schädigen anderer unterstellten. Nach Auffassung des Amtsgerichts Weinheim handelt es sich nicht um eine zugespitzte Meinung, sondern um eine pauschale Verleumdung einer klar definierten Bevölkerungsgruppe. Das Gericht betonte, solche Behauptungen könnten gesellschaftliche Ressentiments verstärken und seien geeignet, feindselige Einstellungen zu fördern. Deshalb überschritten sie deutlich die Schwelle zur Strafbarkeit.
Aus lokaler Perspektive ist besonders bemerkenswert, dass derselbe Flyer bereits im Jahr 2013 der Staatsanwaltschaft Münster vorlag. Damals hatte queer.de Strafanzeige erstattet, nachdem die „Christliche Mitte“ den Text unter dem Titel „Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Homosexualität“ verbreitet hatte. Die Staatsanwaltschaft Münster kam jedoch zu einem völlig anderen Ergebnis: Trotz der scharfen Formulierungen sah sie keinen Anfangsverdacht auf Volksverhetzung. Die Behörde argumentierte, die Aussagen seien zwar abwertend und polemisch, aber noch von der Meinungsfreiheit gedeckt. Entscheidend sei gewesen, dass die Aussagen nach damaliger Einschätzung nicht die Würde eines Einzelnen oder einer klar abgegrenzten Gruppe verletzten.
Zwölf Jahre später ist das Bild ein anderes. Die nun erfolgte Verurteilung zeigt, dass sich sowohl die gesellschaftliche Wahrnehmung queerfeindlicher Aussagen als auch die rechtliche Bewertung solcher Texte spürbar verändert hat.
Klaus Günter Annen ist in Deutschland seit Jahrzehnten als radikaler Abtreibungsgegner bekannt. Er war Vizechef des fundamentalistischen Vereins „Christliche Mitte“ und betrieb mehrere Websites, auf denen er wiederholt umstrittene Inhalte veröffentlichte. Seine Seite „babycaust.de“ wurde bereits 2007 indiziert, weil dort unter anderem Holocaust-Vergleiche im Zusammenhang mit Abtreibung zu finden waren. Annen führte zahlreiche rechtliche Auseinandersetzungen bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, bekam jedoch nur in wenigen Punkten Recht. In anderen Verfahren bestätigten Gerichte hohe Hürden für ihn, insbesondere wenn er Ärztinnen oder politische Gegner persönlich attackierte.
Der Fall zeigt exemplarisch, wie sich die juristische Einordnung queerfeindlicher Hetze in den letzten Jahren verändert hat. Obwohl die sexuelle Orientierung im Wortlaut des § 130 StGB nicht ausdrücklich genannt ist, werden LGBTIQ*-Personen heute regelmäßig als „Teil der Bevölkerung“ angesehen, der vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geschützt ist. Besonders dann, wenn eine Gruppe pauschal als gefährlich, moralisch minderwertig oder verantwortlich für schwere Schäden dargestellt wird, werten Gerichte das zunehmend als Angriff auf die Menschenwürde.
Mehrere Urteile der vergangenen Jahre bestätigen diese Linie. Ob in politischen, religiösen oder aktivistischen Kontexten: Aussagen, die per se auf Abwertung oder Diffamierung zielen, werden seltener als geschützte Meinungsäußerung gewertet. Stattdessen erkennen Gerichte darin häufiger eine Form von Hassrede, die strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht.
Für Münster bedeutet der Fall eine nachträgliche Neubewertung: Aussagen, die 2013 noch als zulässige Meinungsäußerung eingestuft wurden, führen heute zu einer strafrechtlichen Verurteilung. Das ist kein Vorwurf an die damaligen Ermittler, sondern Ausdruck eines gesellschaftlichen und juristischen Wandels. Der Umgang mit queerfeindlicher Hetze hat sich spürbar verändert – nicht nur in Großstädten, sondern bundesweit. Das Urteil aus Weinheim macht deutlich, dass jahrzehntealte Texte in einem neuen rechtlichen Licht betrachtet werden müssen.