
Düsseldorf. Wie kann es sein, dass eine Lehrkraft über 16 Jahre lang krankgeschrieben bleibt – ohne Ruhestandsversetzung, ohne Ersatz, mitten im Lehrkräftemangel? Diese Frage sorgte im Herbst 2025 landesweit für Aufsehen. Nun hat die Landesregierung auf Druck des Landtags reagiert und erstmals konkrete Zahlen zu Langzeiterkrankungen im Schuldienst veröffentlicht. Die Antwort zeigt: Es gibt mehr solcher Fälle, als bisher bekannt – und das System hat Schwachstellen.
Laut Angaben des Ministeriums für Schule und Bildung waren zum Stichtag 31. August 2025 landesweit 579 verbeamtete Lehrkräfte länger als ein Jahr krankgeschrieben. 61 von ihnen sind bereits mehr als drei Jahre ununterbrochen dienstunfähig. Für tarifbeschäftigte Lehrkräfte gibt es keine Angaben – die Datenlage bleibt unvollständig.
Eine vollständige Auswertung aller Personalakten, so die Landesregierung, sei „nicht zumutbar“. Rund 200.000 Personalvorgänge müssten händisch überprüft werden. Deshalb liegen nur Stichproben vor, keine flächendeckende Statistik. Die FDP-Abgeordnete Franziska Müller-Rech, die die Kleine Anfrage gestellt hatte, spricht von einem „blinden Fleck“ in der Personalpolitik. Gerade in Zeiten akuten Lehrermangels sei es unverständlich, dass der Staat die Dauer und Struktur solcher Ausfälle nicht systematisch erfasse.
Der Hintergrund der Anfrage ist spektakulär: Eine Lehrerin im Regierungsbezirk Düsseldorf war laut Medienberichten seit über 16 Jahren ununterbrochen krankgeschrieben, ohne dass sie in den Ruhestand versetzt oder disziplinarisch geprüft wurde. Der Fall hatte überregionale Aufmerksamkeit erregt – und den Druck auf das Schulministerium deutlich erhöht.
Das Ministerium hat nach eigenen Angaben alle Bezirksregierungen in NRW angewiesen, ihre internen Abläufe zu überprüfen. Ziel ist, Fälle von Langzeiterkrankungen künftig früher zu erkennen und schneller zu bearbeiten. Nach dem Düsseldorfer Vorfall laufen inzwischen zwei Disziplinarverfahren – eines gegen die betroffene Lehrkraft, eines gegen die frühere Sachbearbeitung.
Du liest unsere Nachrichten kostenlos und unabhängig. Hilf mit einem Beitrag deiner Wahl.
Zugleich kündigte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) an, die Regeln für amtsärztliche Untersuchungen zu straffen. Diese Verfahren sollen künftig beschleunigt werden, um langwierige Krankheitszeiten ohne klare Perspektive zu vermeiden. Feller betonte, es handele sich „nicht um ein systemisches Problem, sondern um Einzelfälle“. Dennoch gebe der Vorgang Anlass, Verwaltungsprozesse und Fürsorgepflichten neu zu justieren.
Auch neue Fälle zeigen, dass das Thema keine Ausnahme bleibt: Die Bezirksregierung Köln prüft aktuell ein Disziplinarverfahren gegen einen Lehrer, der während einer Krankschreibung in TV-Kochshows auftrat. Die Aufsicht hat angekündigt, bei solchen Vorgängen künftig strenger durchzugreifen.
Während das Ministerium über die Dauer einzelner Krankheitsfälle streitet, spüren Schulen in ganz NRW die Auswirkungen täglich. Zum 2. Juni 2025 meldete die Landesregierung rund 7.000 unbesetzte Lehrerstellen – ein Rekordwert. Jede langfristige Erkrankung bedeutet in der Praxis: weniger Unterricht, überlastete Kollegien, steigende Vertretungsstunden.
In Münster und im Münsterland berichten Schulleitungen seit Jahren, dass Vertretungsreserven längst aufgebraucht sind. Besonders Grundschulen und Förderschulen trifft es hart. Wenn Lehrkräfte über Monate oder gar Jahre ausfallen, bleibt häufig nur die Umverteilung innerhalb des Kollegiums. Und das wirkt sich auf die Unterrichtsqualität aus.
Zum Vergleich: In NRW arbeiten laut Schulstatistik rund 189.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen, davon etwa 74 Prozent verbeamtet. Die Zahl der Langzeiterkrankten erscheint also klein – 0,03 Prozent bei über drei Jahren Krankheit –, doch sie belastet die ohnehin angespannte Personallage spürbar.
Die FDP fordert eine transparente Datenerhebung über Krankheitsdauern, Wiedereingliederungen und Frühverrentungen. Nur so lasse sich gezielte Prävention organisieren. Auch Lehrerverbände sehen Handlungsbedarf. Sie mahnen, die Ursachen langwieriger Erkrankungen ernst zu nehmen – von Arbeitsverdichtung über psychische Belastung bis zu fehlender Unterstützung bei der Rückkehr in den Dienst.
In Münster soll künftig das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) stärker genutzt werden, um Lehrkräften den Wiedereinstieg nach längeren Ausfällen zu erleichtern. Zugleich setzt das Ministerium auf Gesundheitsprävention: Schulpsychologische Fortbildungen, Supervisionen und Programme zu „gesundem Führen“ werden derzeit ausgebaut.
Für das Land bleibt die Balance schwierig: Einerseits gilt die Fürsorgepflicht gegenüber erkrankten Beamten, andererseits muss der Staat Unterrichtsausfall vermeiden. Die neuen Zahlen sind daher nicht nur eine Reaktion auf parlamentarischen Druck – sie sind ein Hinweis darauf, dass das Land bei der Transparenz über Krankheitsfälle im Schuldienst noch Nachholbedarf hat.