
Münster/Bochum. Der Fall um den Polizeieinsatz in Bochum, bei dem eine Zwölfjährige durch einen Schuss schwer verletzt wurde, entwickelt sich weiter. Der Anwalt der Familie erhebt deutliche Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden und stellt die bisher kommunizierte Version des Geschehens infrage. Nach Angaben des Juristen schildern die gehörlose Mutter und der ebenfalls gehörlose Bruder des Mädchens die Situation in der Wohnung grundlegend anders, als es die Polizei in ihren öffentlichen Erklärungen nahelegt. Vor allem die Art der Kommunikation durch das Innenministerium sorgt nach seiner Einschätzung für Irritationen.
Anwalt wirft Behörden „manipulative Darstellung“ vor
Im Mittelpunkt des Updates steht die Kritik des Familienanwalts Simón Barrera González. Er spricht von einer „aggressiven Pressearbeit“, durch die ein noch laufendes Ermittlungsverfahren in eine bestimmte Richtung gedrängt werde. Trotz ausstehender Klärung zentraler Fragen habe sich der Innenminister frühzeitig hinter die beteiligten Beamten gestellt, so der Anwalt. Nach seinen Schilderungen hätten Mutter und Bruder – beide gehörlos – den Einsatz als deutlich weniger bedrohlich erlebt, als es in den bisherigen Darstellungen der Behörden anklinge. Auch der Umstand, dass beim Einsatz offenbar kein Gebärdensprachdolmetscher hinzugezogen wurde, sei für die Familie schwer nachvollziehbar.
Was bislang bekannt ist
Der Einsatz ereignete sich vor rund eineinhalb Wochen in einem Wohnhaus in Bochum-Hamme. Das Mädchen war zuvor aus einer Wohngruppe in Münster verschwunden. Da sie auf wichtige Medikamente angewiesen ist, wurde die Polizei aktiv und suchte die Anschrift der Mutter auf. Beim Betreten der Wohnung kam es nach Angaben der Beamten zu einer Situation, in der die Zwölfjährige sie mit zwei Messern bedroht haben soll. Einer der Polizisten gab daraufhin einen Schuss ab, der das Kind im Bauch traf. Die Ermittler betonen, der Schuss sei im „letzten Moment“ gefallen. Körperkameras, die den Ablauf hätten aufzeichnen können, liefen beim Betreten der Wohnung nicht – in privaten Räumen dürfen sie aktuell nur in Ausnahmefällen aktiviert werden.
Ermittlungen laufen – politische Diskussion nimmt Fahrt auf
Die Staatsanwaltschaft prüft weiterhin, ob der Schusswaffengebrauch gerechtfertigt war. Parallel rückt der Einsatz politisch in den Fokus: Im Landtag fordern mehrere Fraktionen Aufklärung darüber, wie die Abstimmung zwischen Jugendamt, Träger der Wohngruppe und Polizei ablief und warum die Kommunikation der Behörden so früh festgelegt wirkte. Auch die Frage, wie Einsätze mit gehörlosen oder schwerhörigen Beteiligten künftig sensibler gestaltet werden können, spielt eine zunehmende Rolle.
Familie wartet weiterhin auf Antworten
Während das Mädchen nach mehreren Operationen weiterhin im Krankenhaus behandelt wird, fühlt sich die Familie mit ihren Sichtweisen bislang nur unzureichend berücksichtigt. Der Anwalt kündigte an, im Laufe des Ermittlungsverfahrens weitere Stellungnahmen vorzulegen. Er betont, dass eine Bewertung des Einsatzes erst möglich sei, wenn alle Aussagen, medizinischen Einschätzungen und Einsatzprotokolle ausgewertet sind.