Provinzial Logo
Consident.de

Der Fall Jesse L.: Kopfschuss-Mord bei Schkeuditz erschüttert Leipzig

Lange Lene in Leipzig, Wohnort von Jesse L.
Foto: Geisler Martin, via Wikimedia Commons: Das längste Wohnhaus Deutschlands in Leipzig-Probstheida, Zwischenzeitiger Wohnort von Jesse L.

Kerzen, Blumen und Fotos schmücken den Eingang des Wohnhauses, in dem Jesse L. lebte – stille Zeugen der Trauer um den 19-Jährigen aus Leipzig. Ein gerahmtes Bild des jungen Mannes, umringt von Grablichtern, trägt die Aufschrift: „Aus unserem Leben bist du gegangen, in unseren Herzen wirst du bleiben“. Der gewaltsame Tod von Jesse L., der am 11. Januar 2022 auf einem Feld bei Schkeuditz durch einen Kopfschuss getötet wurde, erschütterte die Region Leipzig und warf viele Fragen auf. Knapp ein Jahr später steht fest: Jesse L. wurde Opfer eines kaltblütigen Verbrechens aus Habgier. Sein Bekannter Max D. (21) hat ihn aus Geldnot in eine tödliche Falle gelockt und mit einem Kopfschuss ermordet. Das Landgericht Leipzig verurteilte den jungen Täter im Januar 2023 wegen Mordes und weiterer Delikte zu zehn Jahren Haft nach Jugendstrafrecht.

Wer war Jesse L.?

Jesse L. wuchs in Leipzig auf und war zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt. Er lebte mit seiner Familie im Stadtteil Probstheida, hatte aber zwischenzeitlich auch eine eigene Wohnung in der Lene-Voigt-Straße. Jesse befand sich in der Ausbildung und plante, beruflich Fuß zu fassen. In seiner Freizeit war er aktiver Fußballer beim SV Eiche Wachau, wo er als Stürmer beeindruckende 18 Tore in 9 Spielen erzielte. Freunde, Vereinskameraden und sein Trainer beschrieben ihn als lebensfrohen, engagierten jungen Mann mit Zukunft.

Am 11. Januar 2022 verließ Jesse am späten Nachmittag seine Wohnung, um sich mit Max D. zu treffen – einem Bekannten, den er seit etwa zwei Jahren kannte. Sie verband offenbar mehr als nur Freundschaft: Laut späteren Ermittlungen kannten sich die beiden aus dem Drogenmilieu. Jesse soll Zugang zu größeren Mengen Marihuana gehabt haben. Für seine Familie begann eine Woche voller Sorge, denn Jesse kehrte nicht zurück. Erst eine Woche später wurde seine Leiche gefunden – und die Hoffnung wich der Gewissheit eines grausamen Verbrechens.

Der Täter Max D.: Schulden, Doppelleben und Drogenhandel

Max D. war 20 Jahre alt, als er Jesse tötete. Er stammte aus einer gutbürgerlichen Familie in Leipzig – Sohn eines Zahnarztes und einer Lehrerin. Doch das Bild des scheinbar intakten Elternhauses täuschte. Max hatte früh einen schweren Verlust erlebt: Sein Vater beging Suizid, was ihn seelisch belastete. Nach außen gab Max sich kontrolliert, ehrgeizig, sozial angepasst – doch hinter der Fassade brodelte es. Er war hoch verschuldet, führte einen aufwendigen Lebensstil und versuchte, diesen durch Drogenhandel zu finanzieren.

Seine Schulden beliefen sich Anfang 2022 auf einen fünfstelligen Betrag. Um dem Druck seiner Gläubiger zu entkommen, plante er einen Drogendeal – oder vielmehr einen Raub. Er wusste, dass Jesse L. größere Mengen Cannabis beschaffen konnte. Also täuschte er einen lukrativen Deal vor, angeblich mit einem solventen Käufer. Gemeinsam fuhren sie am 11. Januar zu einem Spätverkauf in Leipzig-Mölkau, um mehrere Kilogramm Marihuana in einer Sporttasche abzuholen. Dann machte Max D. ernst.

Die Tat: Kopfschuss auf einem Feldweg bei Schkeuditz

Am frühen Abend des 11. Januar 2022 fuhr Max D. mit Jesse L. im Auto Richtung Schkeuditz – zu einem abgelegenen Feldweg in der Nähe des Flughafens Leipzig/Halle. Dort sollte laut D. das Drogengeschäft über die Bühne gehen. In Wahrheit hatte Max den Ort gezielt gewählt, weil dort keine Zeugen zu erwarten waren. Als sie am Feldweg anhielten, eskalierte die Situation. Max stülpte Jesse einen Müllsack über den Kopf und schoss ihm aus nächster Nähe mit einer Pistole ins Gesicht. Jesse war sofort tot.

Der Täter versteckte die Leiche in einem Graben neben den Bahnschienen und flüchtete mit der Sporttasche voller Drogen. Jesse galt in den darauffolgenden Tagen als vermisst. Seine Familie suchte verzweifelt, verteilte Plakate, schaltete die Polizei ein. Max D. behauptete unterdessen, er habe Jesse am Hauptbahnhof in Halle abgesetzt. Doch schon bald geriet er ins Visier der Mordkommission – denn seine Aussagen waren widersprüchlich, und das Netz der Indizien zog sich enger.

Festnahme des Täters: Geständnis und Fund der Leiche

Noch am 17. Januar 2022 leitete die Polizei konkrete Schritte gegen Max D. ein. Kriminalbeamte durchsuchten seine Wohnung in Leipzig und wurden prompt fündig: Sie entdeckten Beweismittel, die Max D.s Verwicklung in das Verbrechen untermauerten. In den Räumen fanden sich nicht nur kleine Mengen Betäubungsmittel, sondern auch eine Indoor-Plantage für den Anbau von Cannabis. Zudem stieß die Polizei auf eine Pistole – bei Max D. konnte die mutmaßliche Tatwaffe sichergestellt werden. Angesichts dieser Indizienlast und der widersprüchlichen Aussagen erhöhte die Polizei den Druck. Einer der Ermittler sprach Max D. ins Gewissen und forderte ihn eindringlich auf, die Wahrheit zu sagen.

Schließlich brach Max D. zusammen. Er gestand, dass Jesse nicht mehr am Leben war und dass sich der Leichnam an genau jenem Feldweg bei Schkeuditz befand, den sie gemeinsam aufgesucht hatten. „Jesse ist tot. Seine Leiche liegt dort draußen“, gab Max D. sinngemäß zu – eine Wendung, mit der in diesem Moment kaum jemand gerechnet hatte. Unverzüglich wurde der Bereich am Feldweg erneut weiträumig abgesucht, diesmal systematisch. In den späten Abendstunden des 17. Januar oder in der darauffolgenden Nacht entdeckten Kriminalbeamte schließlich Jesses Leiche in dem Graben, wo Max D. sie versteckt hatte. Die monatelange Ungewissheit der Familie fand ein tragisches Ende: Ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich.

Die Leiche wurde noch in der Nacht geborgen. Die Obduktion ergab, dass Jesse durch einen Kopfschuss aus kurzer Distanz getötet worden war. Das Projektil hatte keine Austrittswunde hinterlassen – ein klassischer Steckschuss, wie er bei Schussabgaben aus nächster Nähe entstehen kann. Damit war klar: Der Täter hatte mit großer Zielgenauigkeit und unmittelbarer Tötungsabsicht gehandelt. Das Märchen vom „versehentlichen Lösen“ der Waffe wurde durch die Spurensicherung und forensische Analyse erheblich geschwächt.

Gerichtsprozess und Urteil: Kaltblütiger Mord oder tragischer Unfall?

Am 1. Juli 2022 begann der Prozess gegen Max D. vor dem Landgericht Leipzig. Der Anklage zufolge hatte er Jesse L. heimtückisch ermordet – aus Habgier und in dem Vorsatz, die Drogen seines Bekannten zu rauben. Neben Mord warf man ihm Raub mit Todesfolge, illegalen Waffenbesitz und Drogenhandel in nicht geringer Menge vor. Die Staatsanwaltschaft schilderte die Tat als gezielten, kaltblütigen Kopfschuss – mit dem Ziel, sich zu bereichern und Beweise zu beseitigen.

Max D. gestand die Tat, blieb aber bei seiner Version: Der Schuss habe sich versehentlich gelöst. Er habe mit Jesse das „schnelle Ziehen“ der Pistole geübt – angeblich für den Fall, dass der Drogendeal eskalieren würde. In einem unglücklichen Moment sei ihm die Waffe in der Jackentasche verrutscht – beim reflexartigen Zug am Griff habe sich ein Schuss gelöst. Jesse sei getroffen worden, es sei keine Absicht gewesen.

Die Kammer hatte Zweifel. Spurenlage, Schusswinkel und das Verhalten nach der Tat sprachen eine andere Sprache. Ein Sachverständiger bestätigte: Die Waffe war technisch defekt, ein unbeabsichtigter Schuss möglich – aber nicht wahrscheinlich. Der gezielte Steckschuss ins Gesicht ließ vielmehr auf Vorsatz schließen. Zudem hatte Max D. vor der Tat nach Leipziger Schießkellern gesucht. Auch das stützte die Mordthese.

Im Verlauf des siebenmonatigen Prozesses wurden über 30 Zeugen und mehrere Sachverständige gehört. Die Schwurgerichtskammer unternahm sogar eine Tatortbegehung, um Schussrichtung, Sichtverhältnisse und Positionen zu rekonstruieren. Für Jesses Eltern war der Prozess kaum auszuhalten. Die Mutter konnte aufgrund psychischer Belastung nicht aussagen. Der Vater verfolgte die Verhandlung per Videoschalte.

Urteil, Reaktionen und gesellschaftliche Einordnung

Am 27. Januar 2023 verkündete das Landgericht Leipzig das Urteil: Max D. wurde wegen Mordes, Raub mit Todesfolge, Drogenhandels in nicht geringer Menge sowie unerlaubten Waffenbesitzes schuldig gesprochen. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass er Jesse L. heimtückisch und aus Habgier ermordet hatte, um sich an dessen Drogen zu bereichern. Die Kammer verhängte die nach Jugendstrafrecht maximale Strafe: zehn Jahre Haft.

Obwohl Max D. zum Tatzeitpunkt 20 Jahre alt war, wandte das Gericht Jugendstrafrecht an. Begründet wurde dies mit einer verminderten Reifeentwicklung, schwierigen familiären Verhältnissen und fehlenden positiven Perspektiven. Die Staatsanwaltschaft hatte sogar zwölf Jahre gefordert – eine sogenannte „erzieherische Maßnahme in einem besonders schweren Fall“. Doch das Gericht blieb unter dieser Schwelle.

Der Verteidigung erschien das Urteil hart. Max D. hatte mehrfach Reue gezeigt, auch wenn viele Aussagen widersprüchlich blieben. In seinem letzten Wort entschuldigte er sich unter Tränen bei Jesses Familie – eine Geste, die im Gerichtssaal für stille Beklemmung sorgte. Doch die Richter blieben bei ihrer Einschätzung: Das Geschehen sei geplant gewesen, mit dem Ziel, einen Freund zu bestehlen und zu töten.

Die Familie von Jesse L. zeigte sich trotz allem erleichtert. Für sie bedeutete das Urteil nicht Genugtuung, aber zumindest ein Ende der quälenden Ungewissheit. Sie hatten bis zuletzt auf Aufklärung gehofft – und auf eine Strafe, die der Tat gerecht wird. Die Öffentlichkeit reagierte mit gemischten Gefühlen: Während einige Verständnis für das Jugendstrafrecht äußerten, empfanden andere das Strafmaß als zu milde.

True Crime

Verbrechen und Hintergründe