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Symbolik zählt: Wie die Rechten selbst mit Auflagen Wirkung in Münster erzielen

Demo Polizei Bilanz. Sieben Versammlungen und eine rechtsextreme Demo sorgen am 19. Juli in Münster für Sperrungen und Verkehrsbehinderungen.
An vier Standorten stieß der Neonazi-Aufmarsch auf breiten Protest. Hier zum Beispiel am Hauptbahnhof.

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Münster. Am Samstag, dem 19. Juli, war Münster erneut Schauplatz eines Neonazi-Aufmarschs. Rund 100 Teilnehmende folgten dem Aufruf – doch der Demonstrationszug wurde bereits am Hauptbahnhof gestoppt. Fast zwei Stunden lang verzögerte sich der Start, weil die Polizei Verstöße gegen die strengen Versammlungsauflagen feststellte. Im Zentrum des Konflikts: zu viele Fahnen, paramilitärische Formationen und ein Streit, der nun nicht nur juristisch, sondern auch politisch nachhallt.

Während die Polizei von einem insgesamt ruhigen Verlauf spricht, inszeniert sich die rechte Szene im Nachgang als Opfer staatlicher Willkür – und kündigt eine dritte Demo in Münster an. Doch was ist wirklich passiert? Und was darf der Staat – wenn Rechte marschieren?

Polizei zieht Bilanz: Deeskalation, klare Linie – und rechtliche Rückendeckung

Die Polizei Münster war mit rund 1.100 Einsatzkräften im Stadtgebiet präsent. Neben dem rechten Aufmarsch gab es sieben weitere Versammlungen, darunter vier Gegendemonstrationen mit insgesamt etwa 900 Teilnehmenden. Trotz hoher Anspannung blieb es weitgehend friedlich. Zwei Teilnehmer wurden wegen Alkoholkonsums ausgeschlossen, bei einem Dritten wurde ein verfassungsfeindliches Tattoo („Blut und Ehre“) beanstandet.

Den Hauptfokus legte die Einsatzleitung auf den Beginn der Neonazi-Demo: Die Teilnehmenden erschienen in Dreierreihen, trugen Schilder mit schwarz-weiß-roten Symbolen und führten mehr identische Fahnen mit sich, als nach den Auflagen erlaubt waren. Einzelne Fahnen mit unterschiedlichem Motiv – etwa eine Niederlande-Fahne oder eine Dortmund-Fahne – fielen nicht unter die Begrenzung. Die Polizei kontrollierte daraufhin intensiv, forderte die Entfernung mehrerer Banner und überprüfte die Formationen. Erst um 16.45 Uhr – über zwei Stunden nach dem geplanten Start – setzte sich der Zug in Bewegung.

Der Fahnen-Streit: Was Behörden dürfen – und wo Gerichte die Grenze ziehen

Die Eskalation am Bahnhof entzündete sich vor allem an einem Detail: der Anzahl der identischen Fahnen. Laut Auflagen durften nur sechs identische Fahnen (schwarz-weiß-rot) geführt werden – basierend auf dem üblichen Verhältnis „eine Fahne pro 15 Teilnehmende“. Tatsächlich erschienen die Teilnehmenden mit über einem Dutzend Fahnen, darunter Symbolfarben des Kaiserreichs, Dortmund-Flaggen und eine niederländische Fahne. Die Polizei sah darin eine kalkulierte Provokation – insbesondere durch die Mehrzahl gleichartiger Fahnen – und stoppte den Aufzug. Sie kontrollierte daraufhin intensiv, beschlagnahmte nach eigenen Angaben drei unzulässige Flaggen mit NRW‑Wappen und forderte die Reduzierung gleichartiger Reichsflaggen. Formationen in Dreierreihen wurden ebenfalls beanstandet.

Juristisch bewegt sich die Polizei dabei auf sicherem Boden: § 15 des Versammlungsgesetzes erlaubt Auflagen, wenn eine konkrete Gefahr für die öffentliche Ordnung besteht. Die Gerichte haben diese Linie mehrfach bestätigt. So entschied das OVG NRW (Az. 15 B 1371/17), dass eine Begrenzung der Fahnenzahl zulässig ist, wenn sie der Deeskalation dient oder das polizeiliche Eingreifen im Ernstfall nicht behindert. Auch das Tragen gleichförmiger Schilder in Dreierreihen darf untersagt werden, wenn es an eine „paramilitärische Erscheinung“ erinnert – wie das Bundesverfassungsgericht im Wunsiedel-Beschluss (1 BvR 2150/08) klargestellt hat.

Rechte Szene kritisiert Polizei – und nutzt die Situation propagandistisch

Im Telegram-Kanal „Heimat Dortmund“ fiel das Fazit erwartungsgemäß anders aus. Man warf der Polizei „reine Schikane“ vor und sprach von einem Staat, der die Meinungsfreiheit systematisch unterdrücke. Die Verzögerung am Hauptbahnhof wurde zur zentralen Erzählung des Tages. Die eigentlichen Inhalte der Demo traten in den Hintergrund – was genau das Kalkül gewesen sein dürfte.

Die Reden der rechten Demonstration richteten sich fast ausschließlich gegen Polizei, Stadtverwaltung und Medien. „Wir kommen wieder“, hieß es auf der Abschlusskundgebung – verbunden mit der klaren Ansage, dass Münster weiter im Fokus stehen werde. Der Versuch, den Konflikt mit der Polizei zur Mobilisierung zu nutzen, ist offensichtlich – und nicht ohne Wirkung.

Was die Neonazis trotz aller Auflagen erreicht haben

Trotz der erfolgreichen Durchsetzung der Auflagen bleibt eine unbequeme Wahrheit: Die rechte Szene hat am Samstag Teilziele erreicht – und das nicht nur symbolisch.

  • Sichtbarkeit: Der Aufmarsch fand statt, die Medien berichteten – auch wenn kritisch.

  • Inszenierung als Opfer: Die lange Wartezeit lieferte die gewünschte Grundlage für das Narrativ „staatlicher Schikane“.

  • Mobilisierungspotenzial: Die Drohung einer dritten Demo wirkt intern als Signal der Stärke.

  • Testballon: Die Szene testete aus, wie weit sie gegen Auflagen gehen kann – und wie Polizei und Gerichte reagieren.

Diese Punkte zeigen: Auch wenn die Staatsmacht formal das letzte Wort hatte, bleibt die Strategie der Rechten perfide effektiv. Sie nutzen die juristische Auseinandersetzung zur Selbstdarstellung – mit dem Ziel, sich als verfolgte Opposition zu inszenieren. Der Fahnen-Streit war dabei nicht Nebensache, sondern ein gezielt provozierter Hebel für Reichweite.

Münster hat juristisch richtig gehandelt – doch das Spiel ist komplexer

Münster hat am Samstag gezeigt, dass Demokratie sich wehren kann – mit Auflagen, Rechtsprechung und einem klaren Handeln der Polizei. Der Fahnen-Streit war keine Überreaktion, sondern ein rechtlich begründetes Vorgehen gegen eine bewusst eingesetzte Symbolik.

Doch wer glaubt, damit sei alles gewonnen, irrt. Die extreme Rechte agiert strategisch. Sie provoziert, reibt sich an Regeln und sucht gezielt die juristische Konfrontation. 

 

Korrekturhinweis (20. Juli 2025):
In einer früheren Fassung des Artikels war unklar formuliert, dass die Auflagen eine Begrenzung der Gesamtzahl aller Fahnen vorsahen. Tatsächlich bezog sich die Regelung nach Angaben der Polizei auf identische Fahnenmotive. Die Formulierungen wurden entsprechend präzisiert.

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