
NRW/Münster. Volksfeste gehören zu den lebendigsten Ausdrucksformen städtischer Kultur. In Münster zeigt sich 2025 jedoch ein bedenklicher Trend: Zwei zentrale Veranstaltungen, das Hammer Straßenfest und der Handorfer Herbst, wurden abgesagt. Der Grund liegt nicht in fehlender Nachfrage oder schlechtem Wetter, sondern in der Unmöglichkeit, die gestiegenen Sicherheitsauflagen zu erfüllen. Besonders das Hammer Straßenfest steht exemplarisch für diese Entwicklung. Dort fehlten rund 40.000 Euro, um alle geforderten Sicherheitsmaßnahmen zu finanzieren. Auch in Handorf war es letztlich nicht möglich, das Sicherheitskonzept im Rahmen der ehrenamtlichen Organisation umzusetzen. Beide Absagen werfen grundsätzliche Fragen auf.
Nicht nur in Münster, sondern in ganz Nordrhein-Westfalen zeigt sich eine ähnliche Entwicklung. Besonders deutlich wird das an drei aktuellen Beispielen: In Wesel musste der Hanse-City-Lauf 2025 abgesagt werden, weil die neuen Vorgaben 44 Absperrstellen und deutlich mehr Sicherheitspersonal erfordert hätten – der Stadtsportverband sprach von einem Aufwand, der finanziell nicht mehr zu stemmen war. In Lage im Kreis Lippe scheiterte die Frühjahrskirmes, nachdem kurzfristig rund 15 Sperrpunkte mit über 30 Lkw (jeweils mehr als 3,5 Tonnen Leergewicht) dauerhaft abgesichert werden sollten; die Stadt und der Veranstalter erklärten die Maßnahme aus logistischen wie wirtschaftlichen Gründen für nicht umsetzbar. Und selbst in Essen-Kettwig wurde das Frühlingsfest abgesagt, weil der ausrichtende Verein nach Behördenabstimmungen zusätzliche Ausgaben von rund 10.000 Euro für Absperrungen, taktische Sperren und Sicherheitskräfte kalkulieren musste. Diese Fälle zeigen, dass Sicherheitsauflagen dort zum Ausschlusskriterium werden, wo keine kommunalen Technikpools, keine ausreichenden Sponsorengelder und keine professionellen Strukturen zur Verfügung stehen.
Die rechtliche Grundlage für die geforderten Maßnahmen liefert der Orientierungsrahmen des Landes NRW. Er wurde entwickelt, um die Sicherheit auf Großveranstaltungen zu verbessern und Risiken möglichst gering zu halten. Die Umsetzung erfolgt durch Koordinierungsgremien in den Kommunen, in denen Ordnungsamt, Polizei, Feuerwehr und andere Akteure die Konzepte gemeinsam prüfen. Gefordert werden unter anderem Evakuierungspläne, mobile Sperren gegen Amokfahrten, Zugangskontrollen, Ordnerdienste und ein belastbares Kommunikationskonzept. Für große Veranstaltungen wie den Send in Münster sind diese Maßnahmen längst Routine. Doch bei kleineren Festen geraten viele Organisatoren an ihre Grenzen. Der Orientierungsrahmen wurde in den vergangenen Jahren immer wieder weiterentwickelt – unter anderem als Reaktion auf Ereignisse wie die Loveparade 2010 und aktuelle Sicherheitslagen wie in Magdeburg. Es handelt sich dabei nicht um starre Vorschriften, sondern um kommunal interpretierbare Maßstäbe, die regelmäßig angepasst werden.
Grundsätzlich gilt: Jede Sicherheitsauflage muss verhältnismäßig sein. Sie muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Doch genau daran entzündet sich die Kritik. Denn vielfach beruhen Auflagen nicht auf einer konkreten Gefahrenlage, sondern auf abstrakten Risikoszenarien. Besonders für ehrenamtlich organisierte Stadtteilfeste, die seit Jahrzehnten ohne Zwischenfälle stattfinden, fühlt sich das nach Überregulierung an. Wenn bereits kleinere Events voll umzäunt, videoüberwacht oder mit Pollern ausgestattet werden sollen, entsteht bei vielen Beteiligten der Eindruck, als würde das Sicherheitsdenken das Fest selbst dominieren.
Die Kostenverteilung ist klar geregelt. Die Veranstalter müssen für das Sicherheitskonzept, Ordnerdienste, Sanitätsversorgung und Technik aufkommen. Nur die hoheitlichen Aufgaben von Polizei und Feuerwehr werden von der öffentlichen Hand getragen. Doch diese Trennung ist für viele Initiativen nicht zu stemmen. Gerade kleinere Vereine, Stadtteilinitiativen oder lokale Gewerbegemeinschaften haben nicht die finanziellen Mittel, um solche Auflagen umzusetzen. Und Sponsoren lassen sich für ein abgespecktes Sicherheitskonzept schwerer gewinnen als für ein attraktives Festprogramm. So geraten immer mehr Veranstaltungen in einen Teufelskreis aus Überforderung und Rückzug.
Der Verlust solcher Feste trifft vor allem die Menschen vor Ort. In vielen Stadtteilen ist das Jahresfest das einzige große Ereignis, das alle Altersgruppen, Kulturen und sozialen Schichten zusammenbringt. Fällt es weg, fehlt ein Stück Identität. Gleichzeitig verschiebt sich das Gewicht hin zu professionellen Großevents, die sich die Umsetzung der Auflagen leisten können. Das fördert die soziale Spaltung im kulturellen Raum. Gerade deshalb ist es notwendig, dass Kommunen und Land neue Wege finden, um auch kleine und mittlere Feste zu ermöglichen. Sicherheit muss mit Augenmaß gestaltet werden, sonst wird sie zur Ausschlussbedingung.
Dass Sicherheit und Festkultur kein Widerspruch sein müssen, zeigt das Beispiel des Send in Münster. Dort gelingt es seit Jahren, ein tragfähiges Sicherheitskonzept umzusetzen, ohne das Erlebnis zu zerstören. Einlasskontrollen, verbotene Gegenstände, klar geregelte Zugänge und die Zusammenarbeit mit Polizei und Ordnungsamt sorgen für Sicherheit, ohne ein Gefühl der Abschottung zu erzeugen. Entscheidend ist dabei die professionelle Organisation und die frühzeitige Abstimmung zwischen allen Beteiligten. Wenn Kommunen ähnliche Strukturen für kleinere Feste bereitstellen würden, ließen sich viele Absagen vermeiden.
Um das kulturelle Leben in den Stadtteilen zu erhalten, braucht es eine Neuausrichtung. Kommunen könnten standardisierte Sicherheitsbausteine entwickeln, die sich flexibel an unterschiedliche Veranstaltungstypen anpassen lassen. Auch ein städtischer Technikpool für mobile Sperren oder Sicherheitstechnik wäre denkbar. Darüber hinaus sind gezielte Förderprogramme erforderlich, um besonders betroffene Veranstalter zu entlasten. Vor allem aber braucht es eine Debatte über die Verhältnismäßigkeit von Auflagen und deren Auswirkungen auf die Vielfalt im städtischen Raum.
Sicherheit ist zweifellos wichtig. Aber sie darf nicht zum Ausschlusskriterium für bürgerschaftliches Engagement werden. Volksfeste sind Ausdruck von Teilhabe, Identität und Zusammenhalt. Wenn sie an überzogenen Anforderungen scheitern, verliert die Stadt mehr als nur eine Veranstaltung. Dann geht ein Stück urbaner Kultur verloren. Münster und NRW stehen vor der Herausforderung, neue Wege zu finden, die beides möglich machen: Schutz und Offenheit.