
Münster. Die juristische Aufarbeitung der großen Demonstration gegen den Neujahrsempfang der AfD im Februar 2024 ist abgeschlossen. Ein Teilnehmer, der während der Kundgebung auf dem Prinzipalmarkt eine Mütze und eine OP-Maske getragen hatte, stand im Mittelpunkt eines mehrstufigen Verfahrens. Weil die Polizei seine Identität vor Ort nicht unmittelbar feststellen konnte, nahm sie Personalien auf und leitete ein Strafverfahren ein. Der Vorwurf lautete: Verstoß gegen das Vermummungsverbot bei Versammlungen.
Das Amtsgericht Münster hatte den Mann am 17. Februar 2025 zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft legten daraufhin Berufung ein. Das Verfahren gelangte an das Landgericht Münster, das die Sache neu bewertete.
Nach offiziellen Angaben nahmen an der Demonstration am 16. Februar 2024 rund 30.000 Menschen teil – sie gilt als größte Kundgebung in der Geschichte der Stadt Münster. Die Polizei sprach von 17 Strafanzeigen, unter anderem wegen Körperverletzung, Widerstands und Verstößen gegen das Vermummungsverbot, sowie von zwölf Platzverweisen. Der Protest richtete sich gegen den AfD-Neujahrsempfang im Historischen Rathaus der Stadt.
Das Landgericht kam im September 2025 zu dem Schluss, dass keine strafbare Handlung vorlag. Zwar war unstreitig, dass der Angeklagte eine Mütze und eine OP-Maske getragen hatte, doch ließ sich nicht nachweisen, dass er dies tat, um gezielt seine Identität zu verschleiern. Genau diese Absicht ist nach dem nordrhein-westfälischen Versammlungsgesetz erforderlich, um einen Verstoß gegen das Vermummungsverbot anzunehmen.
Die Richterinnen und Richter der 5. Strafkammer betonten, dass das reine Tragen von Gesichtsbedeckungen nicht automatisch eine Straftat darstellt. Entscheidend sei die konkrete Motivation. Da eine solche Täuschungsabsicht nicht belegt werden konnte, sprach das Gericht den Mann frei.
Der Freispruch zeigt, wie differenziert das Versammlungsrecht in Nordrhein-Westfalen ausgestaltet ist: Nicht jede Form von Vermummung ist verboten. Die Grenze liegt dort, wo gezielt versucht wird, Ermittlungen zu erschweren oder Identitätsfeststellungen zu verhindern.
Hintergrund: Was das NRW-Versammlungsgesetz sagt
Seit dem 7. Januar 2022 gilt in Nordrhein-Westfalen ein eigenes Versammlungsgesetz. Nach § 17 ist es untersagt, sich bei einer Versammlung zu vermummen oder Schutzausrüstung zu tragen, wenn dies „in der Absicht geschieht, die Feststellung der Identität zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu verhindern“. Eine bloße Vermummung – etwa durch Mützen, Masken oder Schals – ist für sich genommen nicht strafbar.
Laut Landesinnenministerium wurden zwischen Januar 2022 und Juni 2023 60 Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Vermummungsverbot und acht wegen Schutzausrüstung eingeleitet. Damit ist das Gesetz zwar praktisch relevant, kommt aber vergleichsweise selten zur Anwendung.
Nach dem Freispruch legte die Staatsanwaltschaft zunächst Revision ein, nahm diese jedoch nach Prüfung der schriftlichen Urteilsbegründung wieder zurück. Eine Revision hätte nur prüfen können, ob das Urteil Rechtsfehler enthielt – der Sachverhalt selbst wäre nicht erneut verhandelt worden. Da keine Fehler erkennbar waren, wurde das Verfahren beendet.
Damit ist der Freispruch nun rechtskräftig. Der Fall verdeutlicht die juristische Feinlinie zwischen legitimer Teilnahme an einer Versammlung und einem strafbaren Verhalten. Er steht beispielhaft für die differenzierte Auslegung des nordrhein-westfälischen Versammlungsrechts, das seit seiner Einführung 2022 immer wieder Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen ist.
Timeline des Falls:
– 16. Februar 2024: Anti-AfD-Demo mit rund 30.000 Teilnehmenden in Münster
– 17. Februar 2025: Amtsgericht Münster verurteilt Angeklagten (50 Tagessätze)
– 9. September 2025: Landgericht Münster spricht den Mann frei
– November 2025: Staatsanwaltschaft zieht Revision zurück – Urteil rechtskräftig