Provinzial Logo
Consident.de

Kritik am Bundesteilhabegesetz: Kommunalverbände fordern Reformen

Kommunalverbände fordern bei Plenartagung in Münster Reformen – deutliche Kritik am Bundesteilhabegesetz und an der Rolle des Bundes.
Foto: LWL/Urban

Teilen:

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) sollte ein Meilenstein für mehr Inklusion sein. Menschen mit Behinderung sollten gestärkt und besser in die Gesellschaft eingebunden werden. Doch die Praxis sieht anders aus: Bei der jährlichen Plenartagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Höheren Kommunalverbände (BAG HKV) am 8. April 2025 in Münster wurde deutliche Kritik am Bundesteilhabegesetz geübt.

Rund 45 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Fachverbänden und kommunalen Verwaltungen diskutierten über die bisherigen Auswirkungen der Gesetzgebung. Gastgeber war Dr. Georg Lunemann, Direktor des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) und derzeitiger Vorsitzender der BAG HKV. Die Bilanz: Trotz guter Ansätze bleiben gravierende strukturelle Probleme bestehen.

Mängel in der Umsetzung: Kritik am Bundesteilhabegesetz wächst

Die ursprünglich formulierten Ziele des BTHG waren klar: mehr Selbstbestimmung, weniger Abhängigkeit von Fürsorgesystemen und eine umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Doch wie Dr. Lunemann betonte, kommt die Realität diesen Zielen oft nicht ausreichend nach.

Ein zentrales Problem sei die ungleiche Behandlung von Menschen mit Behinderungen, die in besonderen Wohnformen leben. Diese erhalten im Vergleich zu anderen pflegebedürftigen Menschen geringere Leistungen aus der Pflegeversicherung. Vor allem in stationären Einrichtungen führe das zu Versorgungslücken – ein Zustand, der die Versprechen des Gesetzes konterkariert.

Bund entzieht sich finanzieller Verantwortung

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Rolle des Bundes bei der Finanzierung der Teilhabeleistungen. Der Bund hatte im Zuge der Gesetzesreform zugesichert, die finanzielle Last der Eingliederungshilfe für Länder und Kommunen zu begrenzen. Tatsächlich ist das Gegenteil eingetreten.

Die BAG HKV verweist auf einen erheblichen Personalaufbau, der notwendig wurde, um die komplexeren Verwaltungsverfahren zu bewältigen. Diese Zusatzkosten treffen Städte und Landkreise hart. Dirk Rist, Sozialdezernent beim Landschaftsverband Rheinland (LVR), machte deutlich: „Die Realität überfordert die kommunale Ebene – der Bund muss deutlich mehr leisten.“ Die bisherigen Zwischenergebnisse der aktuellen Koalitionsverhandlungen in Berlin ließen jedoch nicht erwarten, dass diese Verantwortung bald übernommen wird.

Forderungen an Gesetzgeber und Bundesregierung

Die Kritik am Bundesteilhabegesetz mündet in klare Forderungen der BAG HKV. Die Verbände erwarten strukturelle Korrekturen, damit das Gesetz seinen Anspruch auf Teilhabegerechtigkeit einlösen kann. Zu den zentralen Punkten gehören:

  • Reform der Pauschalleistung nach § 43a SGB XI: Menschen mit Behinderung in besonderen Wohnformen sollen gleichwertige Pflegeleistungen erhalten wie andere Versicherte.

  • Gleichstellung im Pflegezugang: Alle Menschen mit Behinderung müssen uneingeschränkt auf Leistungen der Pflegeversicherung zugreifen können.

  • Finanzieller Mehraufwandsausgleich ab 2025: Gemeinsam mit den Ländern soll ein Ausgleich geschaffen werden, um die Kosten der Eingliederungshilfe tragbar zu machen.

  • Neuregelung der Bundesfinanzierung: Der Bund soll einen angemessenen Anteil an den steigenden Ausgaben tragen und die kommunale Ebene entlasten.

Diese Forderungen zielen auf mehr Gerechtigkeit und Verlässlichkeit im System. Nur so könne das Ziel eines inklusiven Sozialstaats realisiert werden, so die BAG HKV.

Wer ist die BAG HKV?

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Höheren Kommunalverbände (BAG HKV) ist ein Zusammenschluss von 18 kommunalen Dachorganisationen in acht Bundesländern. Sie vertritt 190 Landkreise und 86 kreisfreie Städte. Die Mitglieder sind öffentlich-rechtliche Körperschaften und übernehmen zentrale Aufgaben in der Selbstverwaltung – etwa in der Jugendhilfe, in der Behindertenhilfe oder im Gesundheitswesen.

Ziel der BAG HKV ist es, durch koordinierte Zusammenarbeit und politischen Dialog für gerechte, inklusive Lebensverhältnisse zu sorgen. Die Organisation agiert als Schnittstelle zwischen kommunaler Praxis und Bundespolitik – und erhebt nun erneut ihre Stimme.

Ausblick: Reformbedarf wächst weiter

Die Plenartagung in Münster hat gezeigt, dass die Umsetzung des BTHG tiefgreifender Veränderungen bedarf. Die geäußerte Kritik am Bundesteilhabegesetz ist nicht neu, aber aktueller denn je. In Zeiten steigender Sozialausgaben und wachsender gesellschaftlicher Verantwortung ist ein handlungsfähiger Staat gefragt – auch, um das Vertrauen von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen zu stärken.

Ob die Bundesregierung die Forderungen der Kommunalverbände ernst nimmt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Klar ist: Ohne strukturelle Reformen verliert das Bundesteilhabegesetz seine Glaubwürdigkeit – und damit auch sein zentrales Versprechen.

Teilen:

Münster Map
Route anzeigen

Mehr Beiträge: