Der Angeklagte, Ralf G., ist bereits zweimal wegen Totschlags verurteilt worden und war auf Bewährung in Freiheit. Er hat mehrfach Menschen getötet, vergewaltigt und enorme Brutalität gezeigt. Der 22-jährigen Sabine M. sitzt er heute zum ersten Mal gegenüber wegen einem Mord in Essen. Ihre Mutter kann sich nur mit Mühe beherrschen.
Es ist Samstag, der 9. Dezember 2006. Mitten in der Vorweihnachtszeit ist die Essener Innenstadt gut besucht. Die Geschäfte sind länger geöffnet, und die Menschen schlendern über den Weihnachtsmarkt. Sabine M., die als neue Store Managerin arbeitet, freut sich besonders auf diesen Tag. Sie hat sich vorgenommen, die alte Umsatzmarke von 3.000 € zu knacken. Doch noch jemand ahnt, dass an diesem Samstag sehr viel Geld eingenommen wird.
In letzter Zeit wurden immer wieder die Tageseinnahmen aus den Tresoren einzelner Filialen gestohlen. Deshalb sollen Store Manager das Geld nach Ladenschluss mitnehmen und zur Bank bringen. Diese Regelung wird im Verlauf dieses Falles eine große Rolle spielen.
Um 21:43 Uhr verkauft Sabine M. die letzten Donuts. Als sich die Kunden verabschieden, bleibt ein Mann mit ihr im Laden. Sie hat keine Bedenken, denn sie kennen sich. Der Mann ist Ralf G., der als Hausmeister für die Donut-Kette arbeitet und bereits mehrere andere Filialen ausgeraubt hat. Ralf G. lebt über seine Verhältnisse und nimmt sich einfach die Tageseinnahmen der Filialen, zu denen er Zugang hat. Doch die Vergangenheit des 44-Jährigen ist weitaus schlimmer als diese Raubserie.
25 Jahre früher, 1981, fällt Ralf G. über fünf Frauen und Mädchen her. In vier Fällen bleibt es bei versuchter Vergewaltigung, ein 17-jähriges Mädchen vergewaltigt er. Noch im selben Jahr erwürgt er seine jüngere Schwester und bekommt dafür eine Jugendstrafe von zehn Jahren. 1989 stranguliert und tötet er eine weitere Frau. Noch in der U-Haft entkommt er, indem er sich in einer Wäschekiste aus der JVA Bielefeld schmuggeln lässt. Dreimal wird er während einer Großfahndung von der Polizei gestoppt, aber nicht erkannt. Schließlich wird er festgenommen und zu 15 Jahren wegen Totschlags verurteilt. Nach etwa zwei Dritteln der Haftzeit kommt er wieder frei.
Dr. Nahlah Saimeh, eine der besten forensischen Gutachterinnen Deutschlands, erklärt: „Die Rückfallquote bei Tötungsdelikten ist normalerweise niedrig. Wer tötet, tötet in der Regel nur einmal.“ Doch Ralf G. tötete zweimal und erhielt trotzdem eine positive Sozialprognose. Saimeh betont, dass in solchen Fällen besonders kritisch hingeschaut werden muss. „Man muss die sogenannte Delikthypothese begreifen, das heißt, man muss wissen, in welchem Zusammenhang getötet wurde.“
Am nächsten Tag erscheint Sabine M. nicht bei der Arbeit. Ihr Verlobter ist besorgt, ruft sie an, schreibt Nachrichten, geht zum Donutladen und wartet auf sie. Vergebens. Also organisiert er mit seinen Freunden einen Suchtrupp und meldet seine Verlobte als vermisst bei der Polizei. Am Montag sucht auch die Polizei nach der jungen Frau. In der Filiale lassen sie die Kellertür öffnen und finden Sabine M.s Leiche in einem normalerweise ungenutzten Keller.
Zwei Frauen, die am Tatabend Donuts kaufen wollten, sehen, wie Sabine M. die Ladentür von innen abschließt. Hinter ihr sitzt ein Mann an der Theke, der sie freundlich anlächelt und mit ihr redet. Ein Phantombild wird erstellt, das Ralf G. deutlich zeigt. Etwa einen Monat nach dem Mord in Essen wird er in einer Tiefgarage festgenommen.
Ralf G. muss sich wegen Raubmordes und Vergewaltigung vor dem Landgericht Essen verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, im Dezember 2006 die Verkäuferin einer Dunkin’ Donuts-Filiale erwürgt und beraubt zu haben. Der Mann bestreitet die Hauptanklagepunkte. Der Prozess ist auf 20 Verhandlungstage angesetzt.
Petra Jochheim, die die Mutter von Sabine M. vertritt, erinnert sich: „Im Sitzungssaal saß ein Mensch, von dem man nie gedacht hätte, dass er mehrfach Menschen getötet hat.“ Der Angeklagte zeigte keine Reue und fühlte sich ungerecht behandelt. „Meine Mandantin konnte es kaum aushalten, den Täter zu sehen.“
Das Landgericht Essen verurteilte Ralf G. zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung. Für den Angeklagten bedeutet das mindestens 15 Jahre im Vollzug. Doch die Staatsanwaltschaft fordert, dass das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellt, um eine vorzeitige Entlassung auszuschließen.
2009 verurteilt das Essener Schwurgericht Ralf G. zu lebenslanger Haft und stellt die besondere Schwere der Schuld fest. Mit diesem Urteil wird es keine verkürzte Haftzeit geben. Der Fall von Sabine M. zeigt, dass selbst Wiederholungstäter manchmal erneut eine Chance bekommen, trotz des Risikos für die Gesellschaft.