
NRW. Nordrhein-Westfalen gehört zu den am stärksten hochwassergefährdeten Bundesländern Deutschlands. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) stuft das Risiko als „extrem“ ein und vergibt einen Hochwasser-Risikowert von 7,81. Damit liegt NRW direkt hinter Bayern (8,29) und Baden-Württemberg (7,96) auf Platz drei im bundesweiten Vergleich. Besonders alarmierend: Kein anderes Bundesland weist einen höheren Anteil an Risikoflächen auf. Ganze 6,81 Prozent der Landesfläche sind als potenziell hochwassergefährdet ausgewiesen. Das betrifft rund 30.000 Wohnadressen – auch dort, wo längst neue Siedlungen entstehen. Der Hochwasserschutz in NRW steht damit nicht nur statistisch unter Druck, sondern auch praktisch.
Die Gründe für das hohe Gefährdungspotenzial in NRW sind vielfältig. Zum einen liegt das Land an mehreren großen Fließgewässern wie Rhein, Ruhr oder Lippe, die natürliche Überschwemmungszonen brauchen. Doch viele dieser Flächen wurden über Jahrzehnte zugebaut oder landwirtschaftlich genutzt. Zum anderen führen die engen Täler der Mittelgebirgsregionen dazu, dass Starkregen schnell zu gefährlichen Sturzfluten führen kann. Hinzu kommt, dass der Mensch selbst massiv in die Landschaft eingegriffen hat: Flüsse wurden begradigt, Bäche verrohrt, Böden versiegelt. Dadurch kann Wasser kaum noch versickern und fließt unkontrolliert ab. Die Folge sind höhere Pegelstände, kürzere Vorwarnzeiten und größere Schäden.
Spätestens die Flutkatastrophe im Juli 2021 hat NRW die eigene Verwundbarkeit vor Augen geführt. Besonders heftig traf es die Kreise Euskirchen, Düren, Heinsberg sowie die Städteregion Aachen. Infolge der Katastrophe wurden rund 500 neue Hochwasserschutzprojekte angestoßen. Ihr Gesamtvolumen: etwa 390 Millionen Euro. Die Verteilung zeigt ein Gleichgewicht aus baulichen Maßnahmen, planerischen Konzepten und Grunderwerb. Doch viele Vorhaben kommen nur schleppend voran – und ausgerechnet dort, wo schnelles Handeln gefragt wäre, fehlen Personal und klare Zuständigkeiten. Die Gefahr ist längst nicht gebannt, der Wiederholungsfall bleibt real.
Ein zentrales Vorhaben ist das Hochwasserschutzprojekt in Köln-Worringen. Eine Rückhaltefläche in der Größe von 1.000 Fußballfeldern soll künftig dafür sorgen, dass Hochwasserspitzen um bis zu 17 Zentimeter reduziert werden. Ein weiteres Signalprojekt ist die neue Hochwasserzentrale des LANUV in Duisburg. Sie soll künftig alle Informationen und Warnsysteme zentral koordinieren – nach dem sogenannten „Single-Voice“-Prinzip. Zudem wird das Pegelnetz deutlich ausgebaut: Statt 84 wie im Jahr 2021 sollen bis Ende 2025 insgesamt 122 Pegel installiert sein. Auch kleinere Kommunen wie Rösrath und Overath profitieren durch neue Messstationen an der Sülz.
Die DUH sieht viele der Maßnahmen kritisch. Zwar sei es wichtig, Deiche, Mauern und Rückhaltebecken zu bauen, doch der Fokus liege zu stark auf technischen Lösungen. Etwa 65 Prozent aller investierten Mittel fließen in diese Richtung. Maßnahmen, die auf natürliche Wasserrückhaltung setzen – wie Auenrenaturierung, Entsiegelung oder Deichrückverlegung – würden zu selten geplant oder umgesetzt. Dabei haben gerade solche naturbasierten Ansätze ein hohes Potenzial: Sie reduzieren nicht nur Schäden, sondern verbessern auch die ökologische Qualität ganzer Landschaften. Technische Schutzmaßnahmen bergen zudem ein hohes Risiko. Denn wenn sie versagen – etwa durch einen Deichbruch – droht schnell eine Katastrophe.
Trotz der mehr als 320 angekündigten Hochwasserschutzprojekte in NRW sind laut aktueller Zahlen nur vier tatsächlich abgeschlossen. Zudem ist etwa die Hälfte der bestehenden Deiche noch immer sanierungsbedürftig. Genehmigungsverfahren ziehen sich über Jahre. Kommunen berichten von unklaren Zuständigkeiten und mangelnder Unterstützung. Die DUH bringt es auf den Punkt: „Papier schützt nicht vor Hochwasser.“ Schutzmaßnahmen müssten konkret umgesetzt und langfristig betreut werden – und zwar bevor das nächste Extremwetterereignis NRW trifft. Denn eines ist sicher: Es wird kommen.