
Münster. Die geplante Reform der Aufgabenträgerschaft im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) sorgt in Nordrhein-Westfalen für heftige Debatten. Der Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) unterstützt zwar das Ziel des Landes, den Bahnverkehr effizienter zu organisieren, sieht im aktuellen Gesetzentwurf aber gravierende Schwächen. Das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (MUNV) hatte den Entwurf auf Grundlage des Koalitionsvertrags vorgelegt. Derzeit läuft die Verbändeanhörung – ein zentraler Schritt im Gesetzgebungsverfahren.
Bislang teilen sich drei regionale Verbünde – der NWL, der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und go.Rheinland – die Verantwortung für Planung, Bestellung und Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs. Künftig soll eine neue landesweite Organisation namens Schiene.NRW diese Aufgaben bündeln. Die Anstalt des öffentlichen Rechts soll Anfang 2027 ihre Arbeit aufnehmen und soll zentrale Zuständigkeiten bei Vergaben, Ausschreibungen und Qualitätsmanagement übernehmen.
Nach Einschätzung des NWL greift der Gesetzentwurf jedoch zu stark in die bewährten kommunalen Strukturen ein. Die Verantwortung für den Nahverkehr bliebe weitgehend bei den Kommunen, während der Einfluss des Landes deutlich gestärkt würde. Das führe, so der Verband, zu einem Ungleichgewicht zwischen Kontrolle und Verantwortung. Auch die vorgesehene Pflicht zum Zusammenschluss kommunaler Gebietskörperschaften und die weitreichenden Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Ministeriums stoßen auf verfassungsrechtliche Bedenken. Der NWL fordert daher eine grundlegende Überarbeitung, um die kommunale Selbstverwaltung zu wahren und die regionale Mitsprache sicherzustellen.
Ein Kernpunkt der Kritik betrifft die Finanzierung und das geplante sogenannte „SPNV-Grundangebot“. Nach dem Entwurf soll „Schiene.NRW“ künftig für rund 70 Prozent des bisherigen Streckennetzes verantwortlich sein. Für den Betrieb und die Sicherung dieses Grundangebots sind 1,5 Milliarden Euro jährlich vorgesehen. Aus Sicht des NWL reicht diese Summe jedoch nicht aus, um den Status quo aufrechtzuerhalten – insbesondere angesichts steigender Kosten und wachsender Fahrgastzahlen.
Der Verband warnt zudem, dass mit der Reduzierung des Leistungsumfangs insbesondere der ländliche Raum benachteiligt werde. Gerade dort sei der Bahnverkehr oft die einzige schnelle Verbindung in größere Städte wie Münster, Hamm oder Bielefeld. Wo Strecken nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können, fordert der NWL, ergänzende Schnellbusverkehre als gleichwertige Alternative einzubeziehen. Diese seien unverzichtbar, um SPNV-ferne Regionen weiterhin an das überregionale Netz anzubinden.
Du liest unsere Nachrichten kostenlos und unabhängig. Hilf mit einem Beitrag deiner Wahl.
Zudem kritisiert der Verband, dass die Zuständigkeit der Zweckverbände für regionale Nahverkehrspläne gestrichen werden soll. Damit drohe die integrierte Planung zwischen Bus und Bahn verloren zu gehen. Der NWL hält die regionale Ebene für entscheidend, um Übergänge zwischen schienen- und straßengebundenem Verkehr sinnvoll zu gestalten. Auch die geplante Verwaltungsstruktur der neuen Schiene.NRW mit einem 21-köpfigen Verwaltungsrat – jeweils sieben Vertreter pro Verbund – sei nicht ausreichend demokratisch legitimiert, so die Kritik.
Trotz der Kritik zeigt sich der NWL dialogbereit. Der Verband will sich weiterhin konstruktiv in den Gesetzgebungsprozess einbringen und auf eine ausgewogene Lösung hinarbeiten. Ziel sei eine praktikable Reform, die sowohl den Interessen der Kommunen als auch den Anforderungen eines modernen Schienenverkehrs gerecht werde.
Nach Angaben des NWL müsse eine künftige SPNV-Struktur vor allem den Fahrgästen zugutekommen – mit verlässlichen Angeboten, klaren Zuständigkeiten und langfristiger Finanzierungssicherheit. Eine erfolgreiche Reform könne nur gelingen, wenn Land, Regionen und Kommunen gleichberechtigt zusammenarbeiten.
Das Land NRW begründet die geplante Reform mit dem Ziel, den Nahverkehr „aus einer Hand“ zu organisieren. Die derzeitige Aufteilung auf drei Zweckverbände habe in den vergangenen Jahren zu Doppelstrukturen und Reibungsverlusten geführt. Eine zentrale Landesorganisation solle künftig die Verkehrsverträge bündeln, Ausschreibungen vereinheitlichen und die Qualitätssicherung verbessern. Außerdem will das Land die Kommunen von finanziellen Risiken entlasten, etwa bei drastisch steigenden Betriebskosten.
Gleichzeitig verweist das Ministerium auf den Handlungsdruck im System: Die Pünktlichkeitsquote im SPNV lag im zweiten Quartal 2025 landesweit bei nur rund 73 Prozent. Hinzu kommen Fachkräftemangel, Baustellen auf Hauptachsen und hohe Investitionskosten.
Langfristig verfolgt das Land ein Zielnetz 2032/2040 mit dichteren Takten, Reaktivierungen stillgelegter Strecken und einer verbesserten Verknüpfung von Bus und Bahn. Auch die Vision eines 15-Minuten-Grundtakts ist Teil dieser Strategie.
Ob die SPNV-Reform dieses Ziel tatsächlich näherbringt, ist nach Ansicht des NWL jedoch fraglich. Ohne auskömmliche Finanzierung und klare Zuständigkeiten drohe eher das Gegenteil – ein Rückschritt bei der regionalen Verkehrsplanung.