
Münster. Die Debatte über die künftigen Namen des Lüderitzwegs und des Woermannwegs in Gremmendorf hat sich in den vergangenen Tagen deutlich zugespitzt. Beide Straßen stehen wegen ihrer kolonial belasteten Namensgeber im Fokus, und eigentlich sollte die Bezirksvertretung Münster-Südost am kommenden Dienstag über eine mögliche Umbenennung entscheiden. Doch inzwischen geht es nicht mehr nur um die Frage, ob die Straßennamen bleiben oder verschwinden sollen. Vielmehr rückt ein anderes Thema in den Mittelpunkt: Wer ist rechtlich überhaupt zuständig?
Ausgangspunkt der aktuellen Zuspitzung ist eine Bürgeranregung nach § 24 der Gemeindeordnung NRW, eingebracht von der „Gesellschaft für bedrohte Völker“. Darin wird gefordert, dass nicht die Bezirksvertretung, sondern der Rat der Stadt Münster über die Umbenennung entscheiden soll. Politisch hätte diese Verschiebung erhebliche Folgen: Während im Rat SPD und Grüne über eine stabile Mehrheit verfügen, wird in der Bezirksvertretung eine knappe CDU-Mehrheit erwartet. Dass die Entscheidungsebene den Ausgang beeinflussen könnte, macht den Streit um die Zuständigkeit besonders sensibel.
Widersprüchliche Aussagen aus den Fraktionen verstärken diese Unklarheit. Vertreter der Grünen erklärten zuletzt, die Bürgeranregung sei laut Beschlussvorlage bereits erledigt. Aus CDU und SPD war dagegen zu hören, dass eine Vertagung möglich sei und damit erneut Bewegung in das Verfahren kommen könnte. Doch während politisch viel spekuliert wird, zeigt ein Blick auf die rechtliche Lage ein sehr viel klareres Bild.
Die Zuständigkeit für Straßenumbenennungen ist in Nordrhein-Westfalen eindeutig geregelt. Nach § 37 der Gemeindeordnung NRW entscheiden die Bezirksvertretungen über Angelegenheiten, deren Bedeutung nicht über den Stadtbezirk hinausgeht. Die Hauptsatzung der Stadt Münster konkretisiert diese Regelung: Für die Benennung und Umbenennung von Straßen, Wegen und Plätzen sind die Bezirksvertretungen zuständig, sofern keine überbezirkliche Bedeutung vorliegt.
Genau das ist bei Lüderitzweg und Woermannweg der Fall. Beide Straßen sind typische Anliegerstraßen im Wohngebiet Gremmendorf – ohne stadtweite Verkehrs-, Erinnerungs- oder Symbolfunktion. Damit fallen sie eindeutig in die Entscheidungsbefugnis der Bezirksvertretung Münster-Südost. Die Verwaltung hat dies in ihren Vorlagen ausdrücklich so dargestellt.
Eine Anregung nach § 24 GO NRW ist ein wichtiges Beteiligungsinstrument, aber sie hat klare Grenzen. Bürgerinnen und Bürger können Anregungen und Vorschläge an die Gemeinde richten, doch diese Eingaben verändern nicht die Zuständigkeiten. Sie müssen an das jeweils sachlich zuständige Gremium weitergeleitet werden – unabhängig davon, an wen sie ursprünglich adressiert wurden.
Im vorliegenden Fall bedeutet das: Auch wenn die Anregung an den Rat gerichtet wurde, muss sie an die Bezirksvertretung übergeben werden. Die Rechtslage lässt keine andere Interpretation zu. Politisch mag der Vorstoß der GfbV ein Signal sein, juristisch ändert er jedoch nichts an der Verantwortlichkeit.
Die obergerichtliche Rechtsprechung ist in vergleichbaren Fällen eindeutig. Das Oberverwaltungsgericht NRW stellte bereits 2007 klar, dass eine Straße nicht allein deshalb „überbezirkliche Bedeutung“ erhält, weil ihre Umbenennung politisch kontrovers ist oder medial diskutiert wird. Entscheidend sind objektive Kriterien: Umfang, Funktion und Bedeutung der Straße innerhalb der Stadt.
Da weder der Lüderitzweg noch der Woermannweg eine besondere übergeordnete Bedeutung besitzen, bleibt die Zuständigkeit zwingend bei der Bezirksvertretung. Die Aufmerksamkeit, die der Fall derzeit erhält, ändert an den rechtlichen Parametern nichts.
Auch wenn die Zuständigkeit klar ist, existieren politische Mechanismen, die den Verlauf des Verfahrens beeinflussen können. Der Oberbürgermeister hat die Möglichkeit, einem Beschluss der Bezirksvertretung zu widersprechen, wenn dadurch das Wohl der gesamten Stadt gefährdet wird. In diesem Fall entscheidet der Rat endgültig. Dieser Schritt ist selten und politisch heikel, aber rechtlich möglich.
Eine weitere Option wäre ein Bürgerbegehren im Stadtbezirk Münster-Südost, das letztlich zu einem Bürgerentscheid führen könnte. Auch damit könnte eine Entscheidung der Bezirksvertretung aufgehoben oder bestätigt werden. Solche Verfahren sind allerdings aufwendig und erfordern eine breite Mobilisierung im Stadtteil.
Der Streit um die beiden Straßen zeigt beispielhaft, wie rechtliche Zuständigkeiten und politische Mehrheiten in kommunalen Verfahren aufeinandertreffen. Während die Rechtslage eindeutig der Bezirksvertretung die Entscheidungsbefugnis zuweist, versuchen politische Akteure, das Verfahren im Sinne ihrer Position zu beeinflussen. Ob die Bezirksvertretung am Dienstag eine Entscheidung trifft oder das Verfahren erneut öffnet, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch: Die Frage, wer entscheiden darf, ist mindestens genauso umkämpft wie die Frage, wie entschieden wird.