
Im Februar 1988 herrscht in Köln der alljährliche Ausnahmezustand: Es ist Karneval. Zwischen Weiberfastnacht und Rosenmontag verwandelt sich die Domstadt in ein Meer aus Farben, Musik und guter Laune. Überall wird gesungen, geschunkelt, gefeiert. Die Straßen sind voller kostümierter Menschen, die dem Alltag für ein paar Tage entfliehen wollen. Doch während zehntausende Jecken tanzen und trinken, endet das Leben einer jungen Frau auf entsetzliche Weise. Ihr Name ist Petra Nohl.
Was als unbeschwerter Abend beginnt, mündet in einem brutalen Verbrechen. Ein Verbrechen, das jahrzehntelang ungelöst bleibt. Erst 35 Jahre später bringt eine Kombination aus moderner Forensik und einem Zuschauerhinweis bei der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ die entscheidende Wende – und einen Tatverdächtigen ans Licht.
Es ist der 14. Februar 1988, ein Sonntag, der in Köln ganz im Zeichen des Karnevals steht. Die ersten Sonnenstrahlen dringen durch den dunstigen Morgennebel und lassen die Spuren der vorherigen Nacht auf den Straßen sichtbar werden. Leere Bierbecher, Papierschlangen, Konfetti und vereinzelt verlorene Kleidungsstücke zeugen vom ausgelassenen Treiben der Jecken. Die Stadt atmet kurz durch – am Mittag wird der Karnevalszug erneut durch die Altstadt ziehen.
Doch in der Albertusstraße, mitten auf der geplanten Zugstrecke, kommt es zu einer grausamen Entdeckung. Ein Passant bemerkt hinter einem aufgestellten Imbisswagen etwas Ungewöhnliches. Beim Näherkommen erkennt er, dass aus dem Schatten zwei Beine hervorragen – regungslos, leblos. Wenige Minuten später ist klar: Die Frau ist tot. Ihre Kleidung ist zerrissen, ihr Körper weist massive Verletzungen auf. Der Tatort ist blutig.
Die Polizei rückt mit Spurensicherung, Kriminalbeamten und forensischen Experten an. Die Straße wird notdürftig abgesperrt. Doch der geplante Zug lässt sich nicht mehr umleiten. Während Ermittler Beweise sichern und den Fundort dokumentieren, rollt der närrische Lindwurm – wenn auch schweigend – weiter an der Leiche vorbei. Die Musik ist abgeschaltet worden, aus Respekt vor dem Opfer. Doch Kinder und Musiker blicken verstört in Richtung des abgesperrten Bereichs.
Ein Leichenwagen fährt durch die Menge. Zwischen geschmückten Wagen und verkleideten Gruppen bahnt er sich seinen Weg – ein gespenstischer Anblick, der sich tief ins Gedächtnis der Anwohner einbrennt.
Zunächst weiß niemand, wer die junge Frau ist. Ihre Identität bleibt für Stunden ein Rätsel. Erst eine Vermisstenanzeige, die am Abend eingeht, bringt Gewissheit: Bei der Toten handelt es sich um Petra Nohl. Sie ist 24 Jahre alt, lebt nach einer gescheiterten Ehe wieder bei ihren Eltern in Köln und ist Mutter einer 18 Monate alten Tochter. Petra arbeitet als Friseurin und versucht, nach der Trennung wieder Fuß zu fassen – privat wie beruflich.
In der Nacht zum Karnevalssonntag wollte Petra sich eine Auszeit gönnen. Einmal dem Alltag entfliehen, sich wie früher ins Nachtleben stürzen. Sie verabredet sich mit zwei Freundinnen, um in der Kölner Innenstadt zu feiern.
Am Abend des 13. Februar 1988 übergibt Petra ihre Tochter dem Kindsvater, ihrem ehemaligen Ehemann. Danach macht sie sich auf den Weg in die Innenstadt. Die drei Freundinnen treffen sich im sogenannten „Bierdorf“, einer unterirdischen Partylocation unweit des Doms. Damals gilt das Bierdorf als Hotspot während der Karnevalstage. Menschen aus der ganzen Region kommen dorthin, um zu feiern.
Petra ist guter Dinge. Sie trinkt, tanzt, lacht und fliegt von einer Stimmung in die nächste. Gemeinsam besuchen die Frauen die Diskothek „Chari Vari“, wo die Musik bis in die frühen Morgenstunden dröhnt. Augenzeugen berichten, dass Petra an diesem Abend auch Kontakt zu mehreren Männern hatte – offenbar flüchtige Bekanntschaften. Nichts deutet darauf hin, dass ihr etwas zustoßen könnte.
Gegen 4:15 Uhr verabschiedet sich Petra von ihren Freundinnen. Sie möchte noch weiterziehen, ins Friesenviertel, in eine weitere Disko. Da ihr das Geld ausgegangen ist, borgt sie sich einige D-Mark. Es ist das letzte Mal, dass jemand sie lebend sieht.
Was zwischen 4:15 Uhr und dem Morgen geschieht, bleibt bis heute nur bruchstückhaft rekonstruierbar. Sicher ist: Petra Nohl geht zu Fuß durch die Innenstadt, vermutlich in Richtung der Albertusstraße. Dort, wo am Mittag der Karnevalszug entlangführen wird, sind bereits Bierstände und Tribünen aufgebaut. In der Nacht ist die Straße menschenleer, kalt, verlassen.
Irgendwo auf dieser Strecke trifft Petra auf ihren Mörder.
Die Tat ist brutal. Petra wird offenbar mehrfach geschlagen – mit großer Gewalt. Dann wird sie erwürgt. Die Verletzungen sprechen für einen emotional aufgeladenen Angriff. Es gibt keine Anzeichen für einen gezielten Hinterhalt oder eine geplante Tat. Vielmehr scheint es, als sei Petra zufällig Opfer eines ausrastenden Angreifers geworden.
Der Täter zieht ihren leblosen Körper hinter einen der Bierstände und lässt sie dort liegen. Ihre Handtasche fehlt – ebenso ein auffälliger Brustbeutel mit etwa 100 D-Mark, Schlüssel und weiteren persönlichen Gegenständen.
Die Polizei beginnt mit großem Aufwand zu ermitteln. Doch die Voraussetzungen sind alles andere als einfach. Es ist Karneval – in der Nacht waren tausende Menschen unterwegs, viele davon kostümiert, teils stark alkoholisiert, aus Köln und weit darüber hinaus. Wer war wo? Wer hat was gesehen? Wer könnte Petra begegnet sein?
Bekannt ist, dass sie mit mehreren Männern gesprochen hat. Alle Kontakte werden überprüft, ein Phantombild wird veröffentlicht. Ein Mann, der auf diesem Bild abgebildet ist, wird gefunden – und als Täter ausgeschlossen. Auch alle weiteren überprüften Männer geraten wieder aus dem Fokus.
Die Spurenlage ist schwach. Die forensischen Möglichkeiten der 1980er-Jahre sind begrenzt. Es gibt keine brauchbaren DNA-Spuren, keine Zeugen, kein Motiv. Die Handtasche bleibt verschwunden, ebenso das auffällige Portemonnaie mit dem „Biene Maja“-Motiv.
Der Fall Petra Nohl droht, ungelöst zu den Akten gelegt zu werden – und genau das geschieht.
Der Mord an Petra Nohl wird zum Cold Case. Jahre vergehen. Jahrzehnte. Immer wieder nehmen Ermittler die Akten in die Hand, prüfen Hinweise, gehen Spuren nach – doch eine entscheidende Erkenntnis bleibt aus.
Dann, im Dezember 2022, wird der Fall öffentlich erneut aufgegriffen. Die Kölner Polizei entscheidet, den Fall in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ vorzustellen. Die Hoffnung: Jemand erinnert sich. Jemand bricht sein Schweigen. Jemand weiß etwas.
Und tatsächlich: Noch während der Sendung meldet sich ein Mann bei der Polizei. Er berichtet, in der Nacht mit Petra gefeiert zu haben. Ein Bekannter von ihm habe sie nach dem Disko-Besuch verfolgt. Der Hinweis bringt Bewegung in die Ermittlungen.
Die Polizei überprüft den Namen des Bekannten. Der Mann lebt noch immer in Köln, war nie aus der Stadt verschwunden. Mit Hilfe modernster forensischer Verfahren analysieren Spezialisten alte Beweismittel neu – darunter Folien, mit denen der Leichnam 1988 abgeklebt worden war.
Der Durchbruch kommt unerwartet: An einer dieser Folien wird eine DNA-Spur entdeckt – und sie passt zu dem Mann, den der Zuschauer erwähnt hat.
Am 14. Februar 2023, exakt 35 Jahre nach der Tat, nimmt die Polizei den 56-jährigen Tatverdächtigen fest. Bei der Festnahme zeigt er sich ruhig, nahezu unbeteiligt. Er schweigt. Ein Geständnis gibt es nicht. Doch die Ermittler sind überzeugt: Sie haben den richtigen Mann.
Das mutmaßliche Motiv: Habgier. Der Täter soll Petra verfolgt, überfallen und ihre Tasche geraubt haben. Dass dabei ein Mensch getötet wurde, scheint ihn nicht abgeschreckt zu haben. Petra Nohl wurde das Opfer einer Tat, bei der es dem Täter offenbar um Geld ging – und bei der Gewalt kein Tabu war.
Der Fall ist nicht abgeschlossen. Die Justiz ermittelt, der Prozess steht bevor. Bis zu einem Urteil gilt der Mann als mutmaßlicher Täter – wie es das Recht verlangt.
Doch für Petra Nohls Familie, für ihre Tochter, die inzwischen erwachsen ist, und für all jene, die sich an den schockierenden Fund an jenem Karnevalsmorgen erinnern, bedeutet die Festnahme einen Hoffnungsschimmer. Nach 35 Jahren könnte endlich Gerechtigkeit folgen. Vielleicht auch ein kleines Stück Frieden.
Der Mord an Petra Nohl bleibt einer der bedrückendsten Kriminalfälle in der Geschichte des Kölner Karnevals. Die Brutalität der Tat, der Zeitpunkt mitten im Fest, das jahrelange Schweigen und schließlich die späte Wendung machen diesen Fall einzigartig.