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Rudolf Pleil: Der „Totmacher“

JVA Celle, hier saß Rudolph Pleil ein und beging 1958 Suizid.
Foto: JVA Celle, Wachturm. Hundehalter, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

Inhalt

Rudolf Pleil (1924–1958) war ein deutscher Serienmörder der Nachkriegszeit, der als „Totmacher“ bekannt wurde. In den Jahren 1946 und 1947 tötete er mindestens zehn Menschen – überwiegend junge Frauen – im damaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet des Harzes, eigenen Angaben zufolge sogar weit mehr. Pleils Verbrechen und sein Gerichtsprozess erregten in ganz Deutschland und darüber hinaus Aufsehen. Nachfolgend werden die Hintergründe, Taten, Ermittlungen, der Prozess sowie die Nachwirkungen dieses Falls sachlich aufgearbeitet.

Biografischer Hintergrund – Wer war Rudolf Pleil?

1924 – 1938

Rudolf Pleil wurde am 7. Juli 1924 im sächsischen Erzgebirge geboren und wuchs unter schwierigen sozialen Bedingungen auf. Sein Vater, ein Industriearbeiter und überzeugter Kommunist, geriet nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Gefahr und die Familie flüchtete in die damalige Tschechoslowakei. Bereits als Kind musste Pleil zum Lebensunterhalt beitragen: Schon im Alter von neun Jahren beteiligte er sich am Schmuggeln von Waren über die Grenze, da seine Familie dringend auf zusätzliche Einkünfte angewiesen war. Die Schulbildung litt darunter erheblich, und Pleil geriet aufgrund der Schmuggeleien mehrfach in Konflikt mit dem Gesetz. In der Jugend verlor er zudem früh Geschwister: Sein Bruder starb jung, seine Schwester wurde wegen Epilepsie von den Nazis zwangssterilisiert, was die ohnehin belasteten Familienverhältnisse weiter überschattete. Mit 13 Jahren machte Pleil erste sexuelle Erfahrungen mit einer Prostituierten, ein frühes Zeichen dafür, dass Sexualität für ihn eine besondere Rolle spielte.

1939 – 1944

Im Jahr 1939 verließ der 15-jährige Pleil das Elternhaus und begann eine Lehre als Fleischer, die er jedoch nach wenigen Wochen abbrach. Stattdessen schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch und fuhr als Schiffsjunge auf Frachtkähnen die Elbe und Oder entlang. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs heuerte er auf einem Handelsschiff Richtung Südamerika an, doch mit Kriegsbeginn wurde Pleil zur Kriegsmarine eingezogen. Dort geriet er wegen Diebstahls ins Zwielicht und verbrachte ein Jahr im Gefängnis. Aufgrund gesundheitlicher Probleme – Pleil litt an Epilepsie – wurde er 1943 als wehruntauglich aus dem Militärdienst entlassen. Zurück in der Heimat arbeitete er zeitweise als Kellner, doch auch im zivilen Leben blieben ihm Krankheiten und Schicksalsschläge nicht erspart: Wegen seiner epileptischen Anfälle sollte er 1944 selbst zwangssterilisiert werden, was nur durch einen Bombenangriff kurz vor dem Operationstermin verhindert wurde. Aus einer kurzen Beziehung ging zudem ein uneheliches Kind hervor, das von Pleils Familie betreut wurde.

1945

Nach Kriegsende fand Rudolf Pleil zunächst Anstellung als Hilfspolizist in seinem Heimatort, der nun in der sowjetischen Besatzungszone lag. Ausgerechnet in dieser Rolle – eigentlich eingesetzt, um für Ordnung zu sorgen – entdeckte Pleil seine Lust am Töten. Bei einem Einsatz auf der Jagd nach Plünderern schoss er auf einen sowjetischen Soldaten; der Soldat überlebte verletzt, doch Pleil spürte bei diesem Vorfall nach eigener Aussage zum ersten Mal Befriedigung durch Gewalt. Parallel zeigte sich seine grausame Ader in bizarren Handlungen: 

Während er kurzzeitig als Koch arbeitete, fing er an, Katzen zu töten und sie anschließend zu verspeisen. Trotz einer scheinbar bürgerlichen Fassade – Pleil heiratete eine junge Frau, die ein Kind von ihm erwartete – blieben seine triebhaften Neigungen ungebändigt. Die Ehe konnte seine Gewaltfantasien nicht dämpfen; nachts lauerte er Frauen auf, belästigte sie und übte erste Gewalttaten aus. Später behauptete Pleil, bereits 1945 die ersten Morde begangen zu haben – noch bevor seine eigentliche Mordserie begann –, allerdings ließen sich diese Taten nie nachweisen.

Die Taten – Warum „der Totmacher“?

Im Jahr 1946 kehrte Pleil dem Osten den Rücken und zog in den Westharz, in das Grenzgebiet zwischen sowjetischer und britischer Besatzungszone. Dort betätigte er sich – zusammen mit zwei Komplizen – als Grenzgänger oder Fluchthelfer: Gegen Bezahlung bot er an, Flüchtlinge illegal über die innerdeutsche Grenze zu schleusen. Was ahnungslose Kunden als Hilfe für eine gefährliche Passage sahen, nutzte Pleil als perfide Falle. Besonders Frauen, die auf eigene Faust aus dem Osten fliehen wollten, waren in der Einsamkeit der dichten Harzwälder völlig auf seinen „Schutz“ angewiesen und vertrauten dem ortskundigen Führer ihr Leben an.

Pleil kannte das unübersichtliche Wald- und Grenzgelände genau und wählte abgelegene Routen, in denen kein Gesetz griff und keine Zeugen zu erwarten waren. Diese Situation – ein entlegenes Niemandsland voller Gefahren – machte sich Pleil gezielt zunutze: Seine Opfer waren schutzlos, isoliert und oft auch deshalb leichte Beute, weil niemand ihr plötzliches Verschwinden sofort bemerkte.

Zwischen März 1946 und April 1947 verübten Rudolf Pleil und seine beiden Helfer eine beispiellose Mordserie im Harzgebiet. Insgesamt wurden mindestens ein Dutzend Morde begangen, hauptsächlich an jungen Frauen um die 20 bis 30 Jahre. Pleil suchte seine Opfer gezielt unter denjenigen, die die Grenze passieren wollten, und lotste sie in die Falle. In den Wäldern schlug er dann gnadenlos zu: Mit äußerster Brutalität wurden die Frauen erschlagen, erschlagen oder mit Hieb- und Stichwerkzeugen getötet. Viele der Opfer wurden nach ihrem Tod sexuell missbraucht – Pleil gestand später offen, dass ihn die Kombination aus Sexualität und tödlicher Gewalt in Erregung versetzte. Psychiatrische Gutachter stellten fest, dass Pleil aus „reiner sexueller Lust“ mordete. Die Tötung an sich sei für ihn Mittel zum Zweck gewesen, um seine sadistischen Bedürfnisse auszuleben.

Die Komplizen

Bei der Ausführung der Verbrechen hatte Pleil Unterstützung: Seine Komplizen Karl Hoffmann (Jahrgang 1913) und Konrad Schüßler (18 Jahre alt zur Tatzeit) halfen ihm sowohl beim Anlocken der Opfer als auch beim Beseitigen der Spuren. Die Mittäter teilten sich die schmutzige Arbeit mit ihrem Anführer in gewisser Weise auf. Während Pleil selbst sich an den Frauen verging und am Töten berauschte, durchsuchten Hoffmann und Schüßler die Leichen nach Wertgegenständen und beraubten die Opfer. In einigen Fällen verstümmelten sie die Getöteten, um sie unkenntlich zu machen oder die Leichen leichter verschwinden zu lassen. 

So war es insbesondere Hoffmann, der mit besonderer Grausamkeit vorging: Er trennte manchen Opfern den Kopf ab, offenbar um die Identifizierung zu erschweren. Selbst Pleil, der ansonsten keinerlei Reue zeigte, soll sich später darüber beklagt haben – weniger aus Mitgefühl für die Opfer als aus Ekel: „Mich ekelte vor seiner ewigen Kopfabschneiderei“, gab er vor Gericht über seinen Komplizen zu Protokoll. Die Leichenteile wurden oft weit verstreut oder in unzugänglichem Gelände versteckt; mindestens in einem Fall fand man einen abgetrennten Kopf weit entfernt vom übrigen Körper.

Krankhafter Ehrgeiz

Pleils Mordserie forderte nach bisherigen Erkenntnissen mindestens 12 Todesopfer, darunter vermutlich 11 bis 12 Frauen sowie ein männliches Opfer. Bei dem Mann handelte es sich um einen Hamburger Händler namens Hermann B., der im April 1947 ums Leben kam – dieser Mord spielte eine entscheidende Rolle bei Pleils Überführung. Doch Rudolf Pleil ließ es nicht bei diesen tatsächlichen Opfern bewenden: Sein eigener Geltungsdrang verleitete ihn dazu, noch weit höhere Zahlen zu nennen. Gegenüber Ermittlern und vor Gericht prahlte er damit, insgesamt 25 oder gar 40 Menschen „totgemacht“ zu haben. Der Grund für diese Übertreibung lag in seinem krankhaften Ehrgeiz: Pleil wollte sich als „Deutschlands größter Totmacher“ einen Namen machen und sogar den berüchtigten Hannoveraner Serienmörder Fritz Haarmann (der in den 1920er Jahren 24 Morde begangen hatte) in den Schatten stellen. Sein erklärtes Ziel war es, Haarmanns „Rekord“ zu übertreffen – sei es in der Realität oder zumindest in der Vorstellung der Öffentlichkeit.

Die Ermittlungen

Schwierige Ermittlungen im Nachkriegsdeutschland

Obwohl in der Region immer mehr Frauen spurlos verschwanden und sich Gerüchte über einen Frauenmörder breit machten, kamen die polizeilichen Ermittlungen zunächst kaum voran. Die Nachkriegszeit war geprägt von Chaos, Flüchtlingsströmen und einer unübersichtlichen Sicherheitslage. Insbesondere das Zonenrandgebiet im Harz stellte die Behörden vor erhebliche Probleme: Die Zuständigkeit der Polizei endete jeweils an der Besatzungszonengrenze, deren Verlauf in Wald und Gebirge teils unklar war. Zudem war die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Polizeiorganen – der Schutzpolizei und der Kriminalpolizei – mangelhaft, sodass Informationen nicht effektiv ausgetauscht wurden.

Verschärfend kam hinzu, dass während dieser unsicheren Zeit auch Polizisten selbst häufig Opfer von Übergriffen wurden und daher nur in Gruppen auf Streife gingen. Viele der Opfer Pleils stammten von auswärts und hatten ihre Heimat heimlich verlassen, um in den Westen zu gelangen. Deshalb wurden sie in der Harz-Region kaum vermisst gemeldet. All diese Faktoren erschwerten die Fahndung enorm und verschafften Rudolf Pleil einen zeitlichen Vorsprung, den er kaltblütig ausnutzte.

Der übersehene Brunnenfund 1947

Eine folgenschwere Ermittlungspanne trug ebenfalls dazu bei, dass Pleils Mordserie zunächst unentdeckt blieb. Bereits 1947, auf dem Höhepunkt der Frauenmorde, hatte ein Schutzpolizist aus Vienenburg der Braunschweiger Kriminalpolizei gemeldet, in einem alten Brunnen seien Leichenteile gefunden worden. Tatsächlich lagen in diesem Brunnen die Überreste von zwei Frauen, die Pleil zum Opfer gefallen waren. Doch der Hinweis wurde – aus unbekannten Gründen – nicht sofort ernst genommen und ausreichend verfolgt. Diese Unterlassung sollte tödliche Folgen haben: In den Monaten danach konnten Pleil und seine Komplizen mindestens drei weitere Frauen ermorden. Erst viel später, als Pleils Geständnisse bekannt wurden, wurde klar, dass eine frühzeitige Reaktion auf den Brunnen-Fund womöglich einige Leben hätte retten können. Dieser Umstand gilt rückblickend als einer der gravierendsten Fehler in der polizeilichen Ermittlungsarbeit des Falls.

Der Mord an Hermann B. als Wendepunkt

Das Ende von Rudolf Pleils blutiger Spur kam schließlich überraschend – und zunächst ohne direkten Zusammenhang mit den Frauenmorden. Am 13. April 1947 hatte Pleil erneut zugeschlagen, doch diesmal war das Opfer kein Flüchtling, sondern der erwähnte Kaufmann Hermann B. aus Hamburg. Pleil geriet mit dem Mann während eines gemeinsamen Grenzgangs in Streit und tötete ihn mit mehreren Axthieben. 

Die Leiche des Mannes wurde kurz darauf bei Zorge (Landkreis Göttingen) entdeckt – schrecklich zugerichtet, mit gespaltenem Schädel und zertrümmertem Bein, die Tatwaffe (ein Beil) lag noch daneben. Dieser Mord war so brutal, dass er sofort die Aufmerksamkeit der örtlichen Behörden erregte. Glücklicherweise hatte ein Zeuge Pleil kurz vor der Tat zusammen mit dem späteren Opfer gesehen. Nur wenige Tage nach dem Verbrechen erkannte derselbe Zeuge Pleil erneut – diesmal in Begleitung einer Frau – und alarmierte umgehend die Polizei. Dadurch konnte der Tatverdächtige schnell verhaftet werden. Bei dem Festgenommenen handelte es sich um den 26-jährigen Rudolf Pleil.

Erste Verurteilung wegen Totschlags

Zunächst ahnten die Ermittler nicht, welch größeres Verbrechen-Netz sie mit dieser Festnahme aufgedeckt hatten. Pleil wurde Ende 1947 vor Gericht gestellt – jedoch vorerst nur wegen der Tötung des Kaufmanns B. Da Pleil zur Tatzeit stark betrunken gewesen sein soll, wertete das Landgericht Braunschweig die Tat nicht als Mord, sondern lediglich als Totschlag. Auf diese Weise entging Pleil einer möglichen Todesstrafe und wurde Anfang 1948 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Morde an den zahlreichen verschwundenen Frauen weiterhin ungelöst und wurden auch nicht mit Pleil in Verbindung gebracht – man betrachtete ihn (noch) als einen Einzeltäter im Streit. Rudolf Pleil saß also in der Justizvollzugsanstalt Celle ein, offiziell wegen eines einzigen Totschlags, während draußen im Harz die Identität des Frauenmörders weiterhin im Dunkeln lag.

Geständnisse aus der Zelle

Erst durch Pleils eigenes Verhalten in der Haft kamen die Ermittlungen zu den übrigen Verbrechen ins Rollen. Hinter Gittern konnte der selbsternannte „Totmacher“ offenbar nicht widerstehen, mit seinen Gräueltaten zu prahlen. In der Zelle schrieb er akribisch seine Erinnerungen nieder und suchte zugleich nach Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erregen und sich Anerkennung für seine „Leistungen“ zu verschaffen. So kam es zu einer bizarren Wendung: Pleil verfasste aus der Haft heraus eine Bewerbung an den Bürgermeister der Stadt Vienenburg – und zwar für die Stelle eines staatlichen Henkers (Scharfrichters). In dem Brief stellte er sich dreist als erfahrener Tötungsexperte vor, der über ausgezeichnete Kenntnisse des menschlichen Körpers verfüge. Unterzeichnet war das Schreiben provokativ mit „Rudolf Pleil, Totmacher a.D.“.

Mit anderen Worten: Pleil bezeichnete sich selbst als „ehemaligen Totmacher“ und versuchte damit, die Behörden zu schockieren. Entscheidend war jedoch ein konkreter Hinweis, den er in dem Brief gab: Er nannte den bereits erwähnten Brunnen in der Nähe von Vienenburg und behauptete, dort ließen sich Beweise für seine Taten finden – nämlich die Leichen zweier von ihm ermordeter Frauen. Zunächst schenkten die Beamten diesen Angaben kaum Glauben. Doch Pleil ließ nicht locker und beklagte sich sogar schriftlich, die Verantwortlichen würden ihm „gar nicht glauben“. Schließlich gingen die Ermittler der Sache nach – und machten tatsächlich den grausigen Fund in dem Brunnen. Die Entdeckung der verwesten Überreste zweier Frauen an exakt dem von Pleil beschriebenen Ort bewies zweifelsfrei, dass seine angeblichen „Prahleien“ der Wahrheit entsprachen. Schlagartig war klar, dass Rudolf Pleil weit mehr war als ein einfacher Streittotschläger: Er war der gesuchte Serienmörder, der im Zonenrandgebiet zahlreiche Frauenleben auf dem Gewissen hatte.

Der Gerichtsprozess

Anklage wegen mehrfachen Mordes

Nach diesen Enthüllungen wurde Rudolf Pleil Ende 1949 erneut angeklagt – diesmal wegen der Serie von Frauenmorden im Harz. Der Gerichtsprozess gegen Pleil und seine beiden Mittäter fand ab Oktober 1950 vor dem Landgericht Braunschweig statt und geriet zu einem der aufsehenerregendsten Kriminalfälle der frühen Bundesrepublik. Das öffentliche Interesse war enorm: Nicht nur die deutsche Presse verfolgte jeden Verhandlungstag gespannt, auch internationale Medien entsandten Reporter, um über den „Braunschweiger Frauenmörder-Prozess“ zu berichten. Im Gerichtssaal selbst zeigte sich Pleil in seinem Element. Er genoss das Rampenlicht und die Aufmerksamkeit, die man ihm schenkte. Immer wieder drängte er sich mit selbstgefälligem Grinsen in den Vordergrund, korrigierte Zeugen und ergänzte Details – teils wahrheitsgemäß, teils offensichtlich übertrieben. Lächelnd gestand er eine ganze Reihe von Frauenmorden und schilderte die Taten mit erschreckender Gelassenheit und Direktheit.

Die Presse beschrieb ihn reißerisch als „mordende Bestie“, was Pleil jedoch nur noch mehr zu beflügeln schien. Im Laufe der Verhandlung steigerte er seine Opferzahlen immer weiter: Vor Gericht behauptete er schließlich, 40 Menschen getötet zu haben. Mit dieser unrealistisch hohen Zahl wollte er – wie bereits erwähnt – seinen Ruf als größter Serienmörder untermauern. Die Strategie dahinter war durchschaubar: Pleil hoffte, sich durch das Ausmaß seiner angeblichen Grausamkeiten den Ruf eines Wahnsinnigen zu geben, um möglicherweise juristisch als nicht voll schuldfähig eingestuft zu werden.

Die Verteidigungsstrategie: Wahnsinn als Kalkül

Pleils Verteidigung verfolgte nämlich die Taktik, ihn als geistesgestört darzustellen. Er selbst spekulierte offen darauf, als psychisch krank in die Geschichtsbücher einzugehen – in der Annahme, man würde ihn dann nicht ins normale Gefängnis stecken, sondern in eine psychiatrische Anstalt einweisen. Tatsächlich wäre im Falle einer erwiesenen Schuldunfähigkeit keine Haft-, sondern eine Unterbringung in einer forensischen Klinik erfolgt, was Pleil sich offenbar als komfortabler vorstellte. Doch dieser Plan ging nicht auf. Gerichtsgutachter untersuchten den Angeklagten eingehend und kamen zu dem Schluss, dass Rudolf Pleil voll zurechnungsfähig war.

Weder attestierten sie ihm eine psychotische Störung noch mildernde Umstände aufgrund geistiger Defekte. Im Gegenteil: Die Experten befanden, Pleil sei intellektuell nicht etwa zurückgeblieben, sondern im Grunde gewitzt und berechnend – ein Mann, der genau wusste, was er tat. Seine Taten wurden als sexuell motivierte Sadismus-Verbrechen eingeordnet: Pleil habe offenkundig „durch die Ermordung von Frauen sexuelle Lust“ verspürt, stellten die Gutachter fest. Somit sah das Gericht keine Grundlage für eine verminderte Schuldfähigkeit.

Urteil: Lebenslange Haft für alle Angeklagten

Nach rund dreiwöchiger Verhandlungsdauer wurde am 17. November 1950 das Urteil im sogenannten „Braunschweiger Prozess“ verkündet. Rudolf Pleil wurde wegen mehrfachen Mordes – die Anklage umfasste neun nachgewiesene Morde, darunter die meisten Frauenopfer seiner Serie – zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch seine Mittäter Karl Hoffmann und Konrad Schüßler erhielten wegen Beteiligung an mehreren Morden und Raubverbrechen jeweils lebenslange Freiheitsstrafen. Damit schöpfte das Gericht das gesetzlich mögliche Höchstmaß an Strafe aus, zumal in der jungen Bundesrepublik inzwischen die Todesstrafe abgeschafft war (seit 1949). Die Urteilsverkündung fand unter großem öffentlichen Interesse statt, und die breite Bevölkerung reagierte mit Erschütterung auf die grausamen Details, die im Prozess ans Licht gekommen waren. Viele konnten kaum fassen, mit welcher Kaltblütigkeit Pleil seine Verbrechen begangen und zur Schau gestellt hatte.

Suizid im Gefängnis

Rudolf Pleil trat seine lebenslange Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Celle an. Doch zur Verbüßung kam es letztlich nur für einige Jahre: Am 16. Februar 1958 wurde Pleil tot in seiner Zelle aufgefunden – er hatte sich mit einem Strick erhängt. Wie sich herausstellte, hatte er seinen Suizid bereits lange im Voraus angekündigt und offenbar akribisch geplant. Sein Leben endete somit durch die eigene Hand, noch bevor er auch nur annähernd die volle Strafe absitzen konnte. Die beiden Komplizen überlebten ihn: Sie blieben zunächst jahrzehntelang in Haft. Konrad Schüßler, der zur Tatzeit noch sehr jung gewesen war, wurde Ende der 1970er Jahre begnadigt und auf freien Fuß gesetzt. Karl Hoffmann verstarb 1976 – den Quellen zufolge im Gefängnis, womöglich noch während der Haft – und kam somit nicht mehr in Freiheit.

Die Memoiren des „Totmachers“

Der Fall Rudolf Pleil hinterließ tiefe Spuren in der deutschen Kriminalgeschichte. Zum einen gewährte Pleil selbst der Nachwelt einen verstörenden Einblick in sein Täterdenken: Während seiner Inhaftierung in Celle schrieb er ausführliche Memoiren über seine Verbrechen. In drei Schulheften, auf insgesamt 127 handgeschriebenen Seiten, schilderte er bis ins grausige Detail sämtliche Morde, an die er sich erinnerte. Diese Aufzeichnungen versah er provokativ mit dem Titel „Mein Kampf“ – in Anspielung auf Adolf Hitlers Buch – und unterzeichnete sie stolz mit „Rudolf Pleil, Totmacher a.D.“.

Darin brüstete er sich, 25 Menschenleben ausgelöscht zu haben. Diese Zahl hatte er bewusst gewählt: 25 Opfer wären eins mehr als bei Fritz Haarmann, dessen makabre „Bestmarke“ er übertreffen wollte. Pleils schriftliche Hinterlassenschaft ist damit nicht nur ein Dokument unvorstellbarer Verbrechen, sondern auch Zeugnis seines krankhaften Geltungsdrangs. Für Kriminalpsychologen und Historiker bieten diese Memoiren einen seltenen Einblick in die Gedankenwelt eines Serienmörders, der seine Taten glorifiziert und akribisch festhält, um in die Geschichte einzugehen.

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