
Die Polizei Münster verzeichnet einen drastischen Anstieg an Intensivtätern – Personen, die wiederholt und teils schwer straffällig geworden sind. Seit Einführung eines neuen Intensivtäter-Konzepts im Dezember 2023 hat sich die Zahl der registrierten Intensivtäter in Münster von zuvor rund 10 auf aktuell 46 erhöht. Dieses neue Konzept orientiert sich an landesweiten Vorgaben und soll helfen, kriminelle Karrieren frühzeitig zu erkennen und zu stoppen. Was steckt hinter dem Anstieg, welche Maßnahmen ergreift die Polizei und welche Ziele verfolgt das Programm? Ein Überblick über die Lage in Münster, Ursachen des Anstiegs und die Strategien von Polizei, Justiz und Jugendhilfe.
Seit Dezember 2023 gilt in Münster ein neues Intensivtäterkonzept, das die Polizei an landesweite Richtlinien angepasst hat. In dessen Folge stieg die Zahl der als Intensivtäter geführten Personen deutlich an. Führte die Polizei Münster in den letzten Jahren nur etwa 9 bis 10 Intensivtäter, so sind es aktuell (Stand April 2025) 46 Personen, die im Intensivtäterkonzept erfasst sind. Zum Vergleich: In den 2000er-Jahren waren es in Münster zeitweise 32 Intensivtäter. Der aktuelle Wert von 46 ist für eine Stadt der Größe Münsters ungewöhnlich hoch und platziert Münster landesweit in der Spitzengruppe. Nach Informationen der Polizei gehört Münster damit zu den Top 10 der 47 Polizeibehörden in NRW in Bezug auf die Anzahl der Intensivtäter.
Die starke Zunahme ist zum Teil auf eine geänderte Definition und Erfassungsmethodik zurückzuführen. Durch die neuen Vorgaben werden mehr Wiederholungstäter als zuvor in das Konzept einbezogen – etwa auch jüngere Straftäter oder Personen mit bestimmten Deliktschwerpunkten, die früher nicht erfasst wurden. Jede Einstufung als Intensivtäter wird dabei quartalsweise überprüft: Alle drei Monate schauen die Verantwortlichen, ob die betroffenen Personen weiterhin die Kriterien erfüllen oder ob sie aufgrund von Verhaltensänderungen von der Liste genommen werden können. Somit bleibt das Konzept dynamisch und passt sich der aktuellen Entwicklung an.
Der Anstieg der Intensivtäter-Zahlen in Münster spiegelt einen landesweiten Trend wider. Die Jugendkriminalität ist in ganz Nordrhein-Westfalen zuletzt gestiegen – laut Kriminalstatistik 2022 wurden in NRW rund 500.000 Tatverdächtige erfasst, und jeder fünfte davon war unter 21 Jahre alt. In Münster registrierte die Polizei im Jahr 2021 etwa 1.534 Straftaten von Jugendlichen (14–21 Jahre); 2022 stieg diese Zahl bereits auf 2.062. Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass mehr junge Menschen straffällig werden, was wiederum die Zahl potentieller Intensivtäter erhöht.
Mögliche Ursachen für den Anstieg sehen Experten vor allem in sozialen und individuellen Faktoren. Oft liegen die Gründe für eine kriminelle „Karriere“ bereits im persönlichen Umfeld der Jugendlichen. „Wenn Jugendliche straffällig werden, hat das oft persönliche Gründe“, erklärt der Münsteraner Sozialarbeiter Ansgar Sante beim WDR. Häufig genannte Auslöser sind z.B. fehlender Halt in der Familie, Probleme in der Schule oder Ausbildung, Perspektivlosigkeit oder früher Drogenkonsum. Solche Umstände begünstigen, dass junge Menschen immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ein konkretes Beispiel aus Münster verdeutlicht dies: Ein 17-Jähriger („Max“) brachte es auf 48 Straftaten, von Körperverletzung über Diebstahl bis Drogenhandel – ein Muster quer durchs Strafgesetzbuch. Solche Fälle zeigen, wie schnell sich bei Jugendlichen ohne rechtzeitige Intervention eine lange Delinquenzliste ansammeln kann. Fachleute betonen, dass der Staat bei solchen Intensivtätern nicht darauf hoffen darf, „dass sich das Problem von selbst auswächst“. Stattdessen müsse frühzeitig eingegriffen werden, um die Abwärtsspirale zu durchbrechen.
Kern des neuen Konzepts in Münster ist eine personenorientierte Bearbeitung der Intensivtäter. Das bedeutet, jeder Intensivtäter wird einer namentlich benannten Ermittlerin oder einem Ermittler der Polizei zugewiesen, der alle Fälle dieser Person zentral bearbeitet. Sämtliche Straftaten eines Intensivtäters laufen bei diesem einen Polizeibeamten zusammen, anstatt wie sonst von verschiedenen Sachbearbeitern behandelt zu werden. Diese Bündelung schafft einen umfassenden Überblick über das individuelle Tatbild und ermöglicht schnelles Eingreifen bei neuen Delikten. Begeht der Intensivtäter erneut eine Straftat, kann der zuständige Ermittler sofort reagieren und die Ermittlungen zeitnah durchführen. Durch die persönliche Kenntnis des Täters und dessen Vorgeschichte lassen sich Maßnahmen gezielter abstimmen.
Dieses individuelle Fallmanagement sorgt auch für bessere Abstimmung mit der Justiz. Jeder Fall wird regelmäßig mit Staatsanwaltschaft und ggf. Jugendgerichtshilfe erörtert. Die enge Betreuung und kontinuierliche Kontrolle sollen sicherstellen, dass Intensivtäter keine „Schonräume“ mehr haben: Jede neue Auffälligkeit wird konsequent verfolgt. Zugleich bietet die feste Zuständigkeit auch Chancen für den Aufbau von Vertrauen – der Ermittler kennt den jungen Menschen oft persönlich und kann, neben repressiven Schritten, auch ansprechbar sein für Hilfsangebote. Die quartalsweisen Überprüfungen der Intensivtäter-Liste dienen dazu, Erfolge sichtbar zu machen: Wer sich bewährt und längere Zeit straffrei bleibt, kann aus dem Intensivtäterstatus entlassen werden. Umgekehrt werden neue problematische Mehrfachtäter zeitnah in das Konzept aufgenommen. Diese Flexibilität soll sicherstellen, dass die Ressourcen stets auf die aktuell aktivsten Intensivtäter konzentriert bleiben.
Bereits Anfang 2022 wurde in Münster das Haus des Jugendrechts eröffnet– ein zentrales Element zur Bekämpfung von Jugendkriminalität und zur Betreuung jugendlicher Intensivtäter. In diesem Haus arbeiten Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendhilfe unter einem Dach eng zusammen. Das Konzept der „Häuser des Jugendrechts“ stammt aus Nordrhein-Westfalen und wurde seit 2009 schrittweise in mehreren Großstädten eingeführt. Münster ist neben Köln, Dortmund, Essen, Oberhausen, Paderborn und Düsseldorf einer der Standorte dieses Modells. Ziel ist es, jugendliche Intensivtäter frühzeitig in den Blick zu nehmen, Verfahren zu beschleunigen und gleichzeitig pädagogische Hilfen einzubeziehen.
Im Haus des Jugendrechts Münster ziehen Polizei und Justiz „ihre Schreibtische zusammen“, wie es NRW-Justizminister Benjamin Limbach bildlich formuliert. Praktisch bedeutet das: Fallkonferenzen mit Ermittlern, Staatsanwälten und Jugendgerichtshelfern entscheiden gemeinsam über das weitere Vorgehen in jedem einzelnen Fall. Sanktionen und Hilfen werden aufeinander abgestimmt. Durch die kurze Kommunikation „Tür an Tür“ können beispielsweise polizeiliche Vernehmungen und sozialpädagogische Gespräche koordiniert stattfinden. Die Erfahrung aus Münster zeigt, dass Abläufe, die früher getrennt und langwierig waren, nun viel schneller und verzahnt ablaufen. So wird verhindert, dass Jugendliche durch lange Verfahren oder mangelnde Abstimmung weiter abrutschen.
Die Zusammenarbeit trägt bereits erste Früchte. Seit Eröffnung des Hauses des Jugendrechts wurden in Münster innerhalb gut eines Jahres 13 jugendliche Intensivtäter in das Programm aufgenommen. Diese 13 Jugendlichen waren für insgesamt 426 Straftaten verantwortlich – ein eindrücklicher Wert, der aber zugleich zeigt, dass man genau diese hochaktiven Täter nun gezielt angeht. Jede einzelne dieser Taten muss aufgearbeitet werden; durch die Bündelung im Haus des Jugendrechts gelingt dies deutlich effizienter. „Neben Strafe auch Hilfe“ lautet das Motto: Die jungen Intensivtäter erhalten konsequent klare Grenzen aufgezeigt, werden eng kontrolliert, aber auch in ihrer persönlichen und sozialen Lage unterstützt. Gemeinsames Ziel ist es, so betonte Justizminister Peter Biesenbach, kriminelle „Karrieren“ im Keim zu ersticken und die Sicherheitslage in Münster nachhaltig zu verbessern. Anstatt die Jugendlichen wegen ihrer Taten einfach „abzuschreiben“, sollen sie durch die enge Zusammenarbeit der Behörden aufgefangen werden.
Neben repressiven Maßnahmen setzt die Polizei Münster verstärkt auf Prävention, um Jugendliche von der Laufbahn als Intensivtäter abzubringen. Für minderjährige Intensivtäter und straffällige Kinder kommt das Präventionsprogramm „Kurve kriegen“ zum Einsatz. Kurve kriegen ist eine kriminalpräventive Initiative des Landes NRW, die seit einigen Jahren landesweit angeboten wird. Ziel des Programms ist es, schwere kriminelle Karrieren zu verhindern, bevor sie richtig beginnen. Dazu arbeiten speziell geschulte Sozialarbeiter eng mit gefährdeten Jugendlichen und deren Familien zusammen. Bei Jugendlichen, die der Polizei schon früh durch wiederholtes Fehlverhalten auffallen, versucht „Kurve kriegen“ gegenzusteuern – mit individueller Betreuung, Training sozialer Kompetenzen und Unterstützung der Eltern.
In Münster wird Kurve kriegen als ergänzender Baustein genutzt, insbesondere für diejenigen unter 18, die bereits als Intensivtäter gelten oder auf dem Weg dorthin sind. Die personalisierte Betreuung durch das Intensivtäterkonzept und die pädagogischen Angebote von Kurve kriegen greifen dabei ineinander. So erhalten jugendliche Straftäter nicht nur die nötigen strafrechtlichen Grenzen, sondern auch Hilfe, um die „Kurve“ zurück in ein straffreies Leben zu bekommen. Fachleute wie Kriminologie-Professor Klaus Boers betonen, dass sozialpädagogische Maßnahmen oft am wirkungsvollsten sind, um den Delinquenzabbruch bei Intensivtätern zu unterstützen. Genau hier setzt Kurve kriegen an: Es bietet Jugendlichen Alternativen und Perspektiven, bevor sich ihr Verhalten weiter verfestigt.
Das neue Intensivtäterkonzept der Polizei Münster verfolgt letztlich ein übergeordnetes Ziel: Mehr Sicherheit für die Bevölkerung und zugleich eine zweite Chance für die betroffenen jungen Menschen. Durch die enge Beobachtung und konsequente Verfolgung von Intensivtätern sollen strafanfällige Personen „an die kurze Leine“ genommen werden, damit sie keine weiteren Opfer schädigen. Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit im Haus des Jugendrechts und Programme wie Kurve kriegen dafür sorgen, dass gerade junge Täter eine Perspektive jenseits der Kriminalität aufgezeigt bekommen.
Polizei, Justiz und Jugendhilfe in Münster ziehen dafür an einem Strang. „Wenn nötig hart durchgreifen, aber immer Chancen und Möglichkeiten aufzeigen“ – dieses Prinzip der Kombination von Härte und Hilfe wird in Münster nun verstärkt gelebt. Schon jetzt zeichnen sich Erfolge ab: Die Verfahren gegen Intensivtäter können erheblich beschleunigt werden, und die Hoffnung ist groß, dass einige der 46 aktuell gelisteten Intensivtäter durch die intensive Betreuung den Weg aus der Kriminalität finden. Münster setzt damit ein Zeichen, dass konsequente Strafverfolgung und Prävention Hand in Hand gehen können, um sowohl die Stadt sicherer zu machen als auch jugendlichen Tätern einen Ausweg aus der Gewalt- und Verbrechensspirale zu ermöglichen.