
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Andreas Gassen hat sich für eine Lockerung der Krankschreibungsregeln ausgesprochen. Sein Vorschlag sieht vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer künftig erst ab dem vierten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung vorlegen müssen.
Nach der aktuellen Rechtslage müssen Beschäftigte in Deutschland spätestens am vierten Krankheitstag ein ärztliches Attest vorlegen. Arbeitgeber dürfen laut Entgeltfortzahlungsgesetz (§ 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG) allerdings früher, also bereits am ersten Tag, eine Krankschreibung verlangen.
Diese Möglichkeit will Gassen abschaffen. Ziel der Reform ist es, Bürokratie zu reduzieren und Arztpraxen zu entlasten. Nach Berechnungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entfallen jährlich rund 35 Prozent aller ausgestellten Krankschreibungen auf Kurzzeiterkrankungen von bis zu drei Tagen. Bei insgesamt etwa 116 Millionen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen pro Jahr bedeutet das mehrere Millionen Arztbesuche, die nur aufgrund der Attestpflicht erfolgen.
Durch eine einheitliche Regelung ab dem vierten Krankheitstag könnten nach Schätzungen der KBV rund 1,4 Millionen Arbeitsstunden in den Praxen eingespart werden.
Auch in Münster spielt das Thema eine Rolle. Die Stadt zählt laut Wirtschaftsförderung Münster zur Jahresmitte 2024 rund 190.850 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, so viele wie nie zuvor. Mit wachsender Erwerbstätigkeit steigt auch die Zahl der Krankmeldungen.
Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) führt Münster in ihrer Bedarfsplanung 2025 als überversorgt im hausärztlichen Bereich. Im Planungsbereich Münster sind 198,65 Hausärztinnen und Hausärzte für 322.904 Einwohnerinnen und Einwohner zuständig. Das ergibt einen Versorgungsgrad von 110 Prozent, neue Kassensitze dürfen daher derzeit nicht vergeben werden.
Bei den Kinder- und Jugendärzten liegt der Wert noch höher. 33 Praxen versorgen 48.064 Minderjährige, was einem Versorgungsgrad von 140,4 Prozent entspricht. Der Indikator zeigt, dass rechnerisch genügend Ärztinnen und Ärzte vorhanden sind, erlaubt jedoch keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Terminverfügbarkeit.
Neue Kassensitze werden erst dann genehmigt, wenn der Versorgungsgrad unter 110 Prozent sinkt. Änderungen ergeben sich nur, wenn sich Bevölkerungszahlen oder Altersstrukturen deutlich verschieben. Die nächste umfassende Überprüfung durch die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe ist für das Jahr 2026 vorgesehen.
Für die Praxen in Münster bleibt der Vorschlag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung relevant. Eine spätere Attestpflicht könnte Bürokratie abbauen und das Gesundheitssystem entlasten, insbesondere in Städten, deren Versorgungsstrukturen bereits stark beansprucht sind.
Sollte die Attestpflicht künftig erst ab dem vierten Krankheitstag gelten, würde das sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer betreffen. Unternehmen müssten in den ersten Tagen stärker auf Eigenmeldungen vertrauen, während der organisatorische Aufwand in der Personalverwaltung sinken könnte.
Für Beschäftigte brächte die Reform mehr Flexibilität. Wer nur kurzzeitig erkrankt, müsste in den ersten Tagen keinen Arztbesuch allein für eine Bescheinigung einplanen. Arztpraxen würden gleichzeitig von weniger Kurzzeitfällen entlastet, wodurch mehr Zeit für reguläre Behandlungen bliebe.