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Mord am Lysefjord – Die Geschichte der Agnes M.

Lysefjord, Forsand, Norwegen
Lysefjord, Forsand, Norwegen

Der Traum vom Neuanfang – zwischen Fjorden und Felsen

Rau, majestätisch und nahezu unberührt: Die Region rund um den Lysefjord in Norwegen ist mehr als nur eine Postkartenidylle. Der Fjord zieht sich wie ein glitzerndes Band über 40 Kilometer durch schroffe Felslandschaften und dichte Wälder. Hoch aufragende Granitwände ragen teils 1000 Meter in die Höhe, Wasserfälle stürzen tosend in die Tiefe. Die Gegend ist atemberaubend schön – und ebenso abgeschieden.

In diesem Naturparadies, weitab von der nächsten Stadt und mit der Fähre oft nur unregelmäßig erreichbar, liegt das kleine Dorf Forsand. Genau hier wollten Agnes und Thomas M. mit ihren beiden Kindern ein neues Kapitel beginnen. Ein Holzhaus mit großem Grundstück, Hunde im Garten, klare Luft und Stille – so sah ihre Vision vom besseren Leben aus. Anfangs schien sich der Traum zu erfüllen.

Vom Neuanfang zur Isolation

Zunächst lief vieles nach Plan. Thomas fand Arbeit als Handwerker, Agnes ergatterte eine Stelle bei einer Friseurkette. Ihre Kolleginnen beschrieben sie als tatkräftig, ehrgeizig und perfektionistisch. Sie lernte Norwegisch, wollte den Führerschein machen und investierte all ihre Energie in das neue Leben. Auch die Kinder fühlten sich wohl, machten schnell Fortschritte in der Schule und liebten die Nähe zur Natur.

Doch das Leben in Norwegen hatte seine Schattenseiten – und die zeigten sich mit der Zeit immer deutlicher. Das neue Zuhause in Forsand war wunderschön gelegen, aber es lag abgelegen. Sehr abgelegen. Die nächste Einkaufsmöglichkeit, der Arbeitsplatz, Freunde – alles war weit entfernt. Ohne Führerschein war Agnes auf Thomas angewiesen. Ihr Gefühl der Selbstbestimmung schwand. Der norwegische Winter mit seinen langen Nächten, die eisige Kälte und das tagelange Ausbleiben der Fähre schnürten ihr förmlich die Luft ab.

Sie begann, sich einsam zu fühlen. Die sozialen Kontakte in Stavanger konnte sie nur selten pflegen. Und Thomas? Der wollte vom Scheitern ihres Traums nichts wissen. Statt Verständnis zu zeigen, ignorierte er ihre Sorgen.

Ein geheimer Hoffnungsschimmer

In ihrer Verzweiflung vertraute sich Agnes einer Freundin in Deutschland an. Diese stellte ihr eine Onlinebekanntschaft vor – einen deutschen Auswanderer, der inzwischen in Kanada lebte. Was als vorsichtiger Austausch begann, entwickelte sich rasch zu einem intensiven Kontakt. Tägliche Nachrichten, nächtelange Gespräche via Skype. Endlich fühlte sich Agnes gehört.

Mit der Zeit reifte in ihr der Entschluss: Sie wollte zurück nach Deutschland. Nicht überstürzt, sondern geplant. Für sich – und vor allem für die Kinder. Sie buchte ein Flugticket, kontaktierte einen Makler wegen einer Scheidungstaxierung und kündigte ihrer Bekanntschaft an, dass sie alles mit Thomas klären wolle, bevor sie ging.

Agnes wollte keinen Rosenkrieg. Sie wollte einen sauberen, respektvollen Schlussstrich – eine faire Trennung, bei der Thomas weiterhin Teil im Leben der Kinder bleiben sollte. Doch es ist unklar, ob dieses klärende Gespräch je stattgefunden hat. Vielleicht ahnte Thomas, was bevorstand. Vielleicht hatte er längst eigene Pläne.

Das Verschwinden

Am 16. April 2014 verlässt Agnes wie gewohnt den Friseursalon in Stavanger. Überwachungskameras zeigen sie gegen 18:30 Uhr – ruhig, in Alltagshaltung, nichts deutet auf das kommende Unheil hin. Es sind die letzten Bilder der 36-Jährigen. Noch am selben Abend soll Thomas sie zum Fähranleger gebracht haben – doch von dort kehrt sie nie zurück.

Zunächst glaubt Thomas, die Fähre habe Probleme gehabt, vielleicht sei Agnes bei Freunden untergekommen. Doch schnell wird klar: Niemand hat sie gesehen, niemand weiß, wo sie ist. Am Ostersamstag meldet er sie als vermisst. Öffentlich gibt er sich aufgelöst, schreibt bei Facebook: „Wo bist du?“

Es beginnt eine verzweifelte Suche: Hubschrauber überfliegen das Gelände, Taucher durchkämmen die eisigen Fjorde. Freunde, Polizei, Nachbarn – alle helfen. Der Nachbar Daniel, selbst deutscher Auswanderer, unterstützt Thomas und kümmert sich um die Kinder. Die Hoffnung lebt – bis zum 1. Mai.

Die grausame Wahrheit

Ein Mini-U-Boot entdeckt im Lysefjord einen leblosen Körper. Es ist Agnes. Schnell steht fest: Sie hat sich nicht das Leben genommen. Sie wurde gefesselt, vergewaltigt, erstickt und in eine Bootsabdeckung gewickelt im Fjord versenkt – beschwert mit Metallrohren. Es war kein Unfall. Kein Verschwinden. Es war Mord.

Noch am selben Tag klickten die Handschellen. Der Täter: Thomas M. – ihr Ehemann, der tagelang die Rolle des verzweifelten Witwers gespielt hatte. Die Polizei findet auf seinem Computer Suchbegriffe wie „Wie versenke ich eine Leiche?“ und „Wie betäubt man eine Frau?“. Außerdem hatte er Agnes über Monate hinweg überwacht, ihre Online-Aktivitäten ausspioniert und Gespräche im Haus mit einem Diktiergerät aufgezeichnet.

Die Tatnacht

Rekonstruiert wurde später: In der Nacht nach Agnes’ Rückkehr fesselte Thomas seine Frau ans Bett, vergewaltigte sie laut gerichtsmedizinischem Gutachten und erstickte sie mit zwei Plastiktüten über dem Kopf. Die Kinder schliefen im Nebenraum. Danach verpackte er ihre Leiche, brachte sie mit einem neu gekauften Boot in den Fjord und versenkte sie in 70 Metern Tiefe.

Später loggte er sich in Agnes’ Facebook-Profil ein und schrieb sich selbst „Ich liebe dich“. Noch Tage danach versicherte er den Kindern, dass ihre Mutter bald zurückkomme. Drei Tage nach der Tat ging er zur Polizei.

Der Prozess – Lügen und Kälte

Im Dezember 2014 begann der Prozess. Thomas M. stritt die Vergewaltigung ab, gestand aber, Agnes getötet zu haben. Seine Version: Es sei ein gemeinsamer Entschluss gewesen. Agnes habe sterben wollen. Doch kein einziger Hinweis stützte diese Aussage. Im Gegenteil: Alles sprach für ein grausames Verbrechen aus Besitzdenken, Kontrollverlust und Wut.

Das Gericht glaubte ihm nicht. Die Richter verurteilten ihn zu 21 Jahren Haft wegen Mordes und Vergewaltigung. Besonders erschütternd: Seine völlige Emotionslosigkeit während des Verfahrens. Keine Reue. Kein Bedauern. Keine Träne für seine Kinder, die nun ohne Mutter – und ohne Vater – aufwachsen müssen.

 

Die Kinder und der letzte Wille

Trotz allem entschieden sich die Kinder, in Norwegen zu bleiben. Der Ort, der für Agnes zum Albtraum wurde, sollte nicht ausradiert werden – sondern zu einem Ort der Erinnerung werden. Auf ihren Wunsch hin wurde ihre Mutter in Forsand beigesetzt, nicht in Hamburg.

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