
Am 29. März 1945, nur wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Münster, spielte sich in der Justizvollzugsanstalt Münster eine grausame Tragödie ab. In den Morgenstunden brachte die Gestapo siebzehn sowjetische Zwangsarbeiter – sechzehn Männer und eine Frau – aus dem sogenannten „Russenlager Maikotten“ in das Gefängnis an der Gartenstraße. Unter einem Vorwand wurden die Gefangenen nicht registriert und man sagte, sie würden am nächsten Tag weitertransportiert. Doch dazu kam es nicht: Gegen Mittag des 29. März führte die Geheime Staatspolizei die wehrlosen Fremdarbeiter in den Innenhof der Haftanstalt. An einer Innenmauer zwischen den Zellenflügeln B und C fielen Schüsse. Fünf Gestapo-Beamte erschossen kaltblütig alle 17 Menschen mit Genickschüssen. Anschließend verscharrten sie die Leichen eilig in einem Bombentrichter im Hof und verbrannten die Papiere der Opfer, um ihre Identität zu verschleiern. Diese brutale Hinrichtung im Gefängnishof – verübt in den letzten Stunden der NS-Herrschaft – blieb lange Zeit ein kaum bekanntes Kapitel der Stadtgeschichte.
Die Ermordung der Zwangsarbeiter in der JVA Münster steht exemplarisch für den Terror der Nationalsozialisten in der Endphase des Krieges. Insgesamt waren in Münster schätzungsweise 12.000 ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt, viele davon aus der Sowjetunion. Sie lebten unter strengster Bewachung in Lagern wie dem Lager Maikotten am Stadtrand. Gegen Kriegsende wuchs im NS-Regime die Paranoia vor Aufständen oder „Plünderern“ in der eigenen Bevölkerung und unter den Zwangsarbeitern. Das Reichssicherheitshauptamt erließ Alarmpläne, die fremde Arbeitskräfte pauschal unter Aufstandsverdacht stellten. In diesem Klima entschied die Münsteraner Gestapo, die Gruppe der 17 sowjetischen Zwangsarbeiter zu liquidieren. Laut Gestapo-Akten wurden die Männer und die Frau als Mitglieder einer vermeintlichen „Räuberbande“ abgestempelt – eine perfide Rechtfertigung für den Massenmord. Nur vier Tage später, am Ostermontag 1945, rückten amerikanische und britische Truppen in Münster ein und beendeten die NS-Herrschaft in der Stadt. Bei der Befreiung entdeckten US-Soldaten auch die Spuren des Verbrechens im Gefängnishof. Sie bargen die Toten und bestatteten sie zunächst provisorisch auf dem Anstaltsgelände. Im März 1946 wurden die sterblichen Überreste der Ermordeten exhumiert und auf den städtischen Waldfriedhof Lauheide überführt, wo sie bis heute in fremder Erde ruhen.
Obwohl das blutige Geschehen vom März 1945 dokumentiert war, geriet es in der Nachkriegszeit in Münster weitgehend in Vergessenheit. Erst Jahrzehnte später begann eine öffentliche Aufarbeitung dieser Tragödie. 1986 ließ die Stadt Münster an der Außenmauer der JVA an der Gartenstraße eine Gedenktafel anbringen, die an die Erschießung der Zwangsarbeiter erinnert. Die Inschrift der bronzenen Tafel hält fest, dass „in den letzten Stunden der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ 16 russische Fremdarbeiter und eine Fremdarbeiterin aus dem Lager Maikotten von der Gestapo Münster hier hingerichtet wurden. Ihre Namen sind nicht mehr bekannt, doch ihr Schicksal ist damit sichtbar im Stadtbild verankert. Über Jahre blieb die kleine Gedenktafel für viele Passanten unscheinbar, doch spätestens seit einer Gedenkfeier im Jahr 2005 – zum 60. Jahrestag der Tat – rückt das Schicksal dieser Zwangsarbeiter stärker ins öffentliche Bewusstsein. Historiker und Stadtführer beziehen das „Geheimnis“ der JVA mittlerweile in ihre Erzählungen mit ein. So wird der Innenhof der noch immer betriebenen Haftanstalt auch zum Mahnmal: Er erinnert daran, wozu die Mordmaschinerie des NS-Regimes selbst in ihren letzten Zügen fähig war. Die historische Aufarbeitung und das Gedenken an diese Opfer des Nationalsozialismus sind heute fester Bestandteil der Münsteraner Erinnerungskultur.
Die Justizvollzugsanstalt Münster selbst ist ein Ort mit langer Geschichte. Erbaut zwischen 1848 und 1853, gehört das fünfseitige Ziegelsteingefängnis mit seinen markanten Wachtürmen zu den ältesten Haftanstalten Deutschlands. Hinter der wehrhaft anmutenden neugotischen Fassade verbirgt sich ein sternförmiger Zellenbau, der damals nach modernsten Erkenntnissen konzipiert wurde.
Über 170 Jahre war das Gefängnis an der Gartenstraße fast ununterbrochen in Betrieb – trotz Kriegsschäden 1945, die bis 1950 behoben wurden. Seit 1984 steht der Gebäudekomplex unter Denkmalschutz und gilt als bedeutendes architektonisches Erbe Preußens. Doch die Zeit hat an den alten Mauern genagt: In den vergangenen Jahrzehnten offenbarte sich ein zunehmend maroder baulicher Zustand. Moderne Anforderungen an Sicherheit und Haftbedingungen ließen sich in dem historischen Gemäuer immer schwerer erfüllen. Im Juli 2016 kulminierten die Probleme, als ein Gutachten akute Einsturzgefahr für Teile der JVA feststellte. Innerhalb von 48 Stunden mussten rund 450 der damals 500 Inhaftierten eilig auf andere Gefängnisse verteilt werden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Lediglich in neueren Anbauten der Anstalt konnten später wieder begrenzt Gefangene untergebracht werden. Der Vorfall machte deutlich, dass die Substanz des alten Gefängnisses ihrem Ende entgegengeht. Zwar werden seither noch notdürftige Sicherungs- und Sanierungsarbeiten am Dach und den Fassaden durchgeführt, um das denkmalgeschützte Gebäude vor dem Verfall zu bewahren. Doch Experten halten eine umfassende Sanierung für wirtschaftlich nicht machbar. In Münster wird daher kontrovers diskutiert, wie mit dem historischen Gefängnis zukünftig verfahren werden soll – vom behutsamen Umbau für eine Nachnutzung bis hin zum Abriss steht vieles im Raum. Fest steht: Als Gefängnis hat der alte Ziegelbau ausgedient.
Angesichts der baulichen und funktionalen Mängel der JVA Münster reifte bereits seit den 2000er-Jahren der Plan, die Haftanstalt an einen neuen Standort zu verlegen. 2012 beschloss das Land Nordrhein-Westfalen offiziell die Stilllegung der JVA an der Gartenstraße und den Bau eines zeitgemäßen Neubaus. Nach langer Standortsuche fiel die Wahl auf eine Fläche am Rande des Münsteraner Stadtteils Wolbeck. Dort, an der Telgter Straße, entsteht seit Oktober 2021 der Gefängnisneubau, der die alte Innenstadt-JVA ersetzen wird. Auf rund 100.000 Quadratmetern werden insgesamt 14 Gebäudekomplexe errichtet – darunter mehrere Hafthäuser, Werkstätten, eine moderne Verwaltung und ein neues pädagogisches Zentrum. Die neue Justizvollzugsanstalt Münster wird Platz für etwa 640 Häftlinge bieten. Darunter sind rund 200 Plätze für Untersuchungshaft vorgesehen; die übrigen dienen dem Strafvollzug, wobei die meisten Insassen in Einzelzellen untergebracht werden sollen. Auch etwa 60 Plätze für schulische und berufliche Bildungsmaßnahmen entstehen, um die Resozialisierung der Gefangenen zu fördern. Mit einer Gesamtfläche von fast 18 Hektar ist das neue Areal etwa viermal größer als das historische Gefängnisgelände. Im Mai 2025 wurde Richtfest gefeiert – ein Meilenstein, der die finale Bauphase einläutet. Nun folgt der Innenausbau mit Sicherheitstechnik und Infrastruktur, damit die Anstalt voraussichtlich im Jahr 2026 ihren Betrieb aufnehmen kann. Der moderne Gefängniskomplex in Wolbeck wird nicht nur höchsten Sicherheitsstandards genügen, sondern auch zeitgemäße Haftbedingungen ermöglichen. So wird beispielsweise auf Nachhaltigkeit geachtet: Zehntausend Photovoltaik-Module auf den Dächern sollen für eine umweltfreundliche Energieversorgung sorgen. Mit der Eröffnung des Neubaus kann gleichzeitig die seit 2016 teilgeräumte Alt-JVA endgültig geschlossen werden – ebenso wie eine kleine Zweiganstalt in Coesfeld, die derzeit noch zur Entlastung betrieben wird.
Bedeutung der JVA Münster im heutigen Justizsystem
Die Verlegung der Justizvollzugsanstalt in einen modernen Neubau unterstreicht die Bedeutung Münsters als Justizstandort. Schon jetzt zählt Münster mit Landgericht, Amtsgericht, Staatsanwaltschaft und der JVA zu den wichtigen Säulen des Justizsystems in Westfalen. Die JVA Münster erfüllt dabei eine Doppelfunktion: Sie beherbergt sowohl Untersuchungshäftlinge aus dem Gerichtsbezirk Münster als auch Strafgefangene mit kürzeren Haftstrafen. In ihrer langen Geschichte hat die Anstalt zahlreiche Veränderungen im Strafvollzug miterlebt – von der harten Zuchthaus-Ära des 19. Jahrhunderts über die NS-Zeit bis hin zu modernen Konzepten der Resozialisierung. Trotz der widrigen Umstände im Altbau wurden in Münster auch progressive Wege beschritten: So legten 2005 erstmals Gefangene in der JVA Münster das Abitur hinter Gittern ab – ein Novum in Nordrhein-Westfalen, das die Bedeutung von Bildung im Strafvollzug hervorhob. Derlei Initiativen zeigen, welche Rolle ein Gefängnis jenseits der bloßen Verwahrung von Straftätern spielen kann. Der Oberbürgermeister der Stadt, Markus Lewe, betonte anlässlich des Richtfestes, der neue Gefängnisbau stehe symbolisch für die Werte des Rechtsstaats: Gerechtigkeit, Sicherheit und die Chance zur Resozialisierung. In Zukunft wird die neue JVA Münster in Wolbeck diese Aufgabe übernehmen. Doch auch wenn die Gefangenen und Bediensteten bald in ein hochmodernes Gebäude umziehen, wird das Andenken an das blutige Geheimnis der alten JVA nicht verblassen. Vielmehr mahnt die Geschichte der 17 ermordeten Zwangsarbeiter weiterhin zur Wachsamkeit und Menschlichkeit – Werte, die im heutigen Justizsystem von zentraler Bedeutung sind.