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Erfolgreicher Spracherwerb findet außerhalb des Unterrichts statt

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Foto: Erich Westendarp

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Fremdsprachenunterricht ist fester Bestandteil des Schulsystems. Doch obwohl Kinder immer früher mit Englisch oder anderen Sprachen beginnen, schöpfen sie ihr volles Potenzial oft nicht aus. Der Grund liegt in der Methodik, wie Prof. Dr. Christine Dimroth von der Universität Münster erklärt. Die Sprachwissenschaftlerin betont, dass sich der Unterricht zu sehr auf Grammatikregeln konzentriert, anstatt auf praxisnahes Sprechen. „Erfolgreicher Spracherwerb findet außerhalb des Unterrichts statt“, erklärt sie in der aktuellen Podcast-Folge Umdenken der Universität Münster.

Erfolgreicher Spracherwerb findet außerhalb des Unterrichts statt – warum das Alltagssprechen entscheidend ist

Viele Menschen glauben, dass ein möglichst früher Start der Schlüssel zum erfolgreichen Spracherwerb sei. Doch Studien zeigen, dass sich Schüler, die erst in der Sekundarstufe mit dem Englischunterricht beginnen, spätestens ab der achten Klasse kaum noch von jenen unterscheiden, die bereits in der Grundschule Englisch lernen. Entscheidend ist also nicht das Alter, sondern die Art und Weise des Lernens.

Laut Dimroth beginnt der erfolgreichste Spracherwerb in einer frühen Lebensphase – jedoch nicht durch bewusstes Lernen von Grammatik und Orthografie, sondern durch intuitives Aufnehmen der Sprache. „Kinder lernen am besten, wenn sie in einem natürlichen Umfeld mit der Sprache konfrontiert werden, sei es durch Gespräche, Lieder oder Geschichten“, erklärt sie. In der Schule wird jedoch oft ein anderer Ansatz verfolgt: Regelbasierter Unterricht, Vokabeltests und schriftliche Aufgaben dominieren. Dadurch bleibt wenig Raum für spontane Kommunikation, die jedoch essenziell für die Sprachentwicklung ist.

Sprachkompetenz und berufliche Kompetenz sind nicht dasselbe

Ein weiteres Anliegen der Germanistin ist die Wahrnehmung von Akzenten und Sprachvarietäten in der Gesellschaft. Besonders in Einwanderungsländern wird oft unterschätzt, dass Sprachkompetenz und berufliche Kompetenz zwei unterschiedliche Dinge sind. „Wenn ein Arzt oder eine Ärztin mit Akzent spricht, hat das nichts mit seinen oder ihren medizinischen Fähigkeiten zu tun“, betont Dimroth.

Sie plädiert für eine tolerantere Haltung gegenüber sprachlicher Vielfalt: „Als Einwanderungsgesellschaft sollten wir andere Sprachen nicht als Bedrohung oder Konkurrenz einstufen.“ Gerade mit Blick auf die dringend benötigte Fachkräfteeinwanderung müsse die Gesellschaft lernen, sprachliche Vielfalt als Bereicherung zu sehen. Es sei wichtiger, dass Fachkräfte ihre beruflichen Aufgaben erfüllen können, als dass sie akzentfrei sprechen.

Das weltweite Sprachensterben – ein natürlicher Prozess?

Neben der Frage des Spracherwerbs beschäftigt sich die Sprachwissenschaft auch mit dem Phänomen des Sprachensterbens. Von den weltweit etwa 7.000 Sprachen sind mehr als die Hälfte vom Aussterben bedroht. Während dies viele als Verlust kultureller Vielfalt betrachten, ordnet Dimroth diesen Prozess als eine „Normalität des sprachlichen Handelns“ ein.

„Menschen entscheiden sich meist für Sprachen, die ihnen im Alltag, im Beruf oder in der Bildung die größten Vorteile bringen“, erklärt sie. Daher werden viele auf Sprachen umsteigen, die eine hohe kommunikative Reichweite haben. Auch wenn der Verlust von Sprachen bedauerlich sei, lasse sich diese Entwicklung kaum aufhalten. „Sprachen verändern sich und verschwinden, weil sich auch Gesellschaften wandeln“, so Dimroth.

Was bedeutet das für den Fremdsprachenunterricht der Zukunft?

Die Erkenntnisse aus der Sprachwissenschaft werfen wichtige Fragen für den Fremdsprachenunterricht der Zukunft auf. Sollten Schulen ihre Lehrmethoden anpassen? Laut Dimroth wäre es sinnvoll, den Unterricht praxisorientierter zu gestalten und Schülern mehr Gelegenheit zum freien Sprechen zu geben. Lernplattformen, Austauschprogramme oder Tandem-Projekte mit Muttersprachlern könnten dabei helfen.

Darüber hinaus sollten Gesellschaften lernen, sprachliche Vielfalt als etwas Natürliches zu akzeptieren. Sprachen werden sich weiterentwickeln, manche werden verschwinden, neue Sprachformen werden entstehen. Entscheidend ist, dass Menschen die Möglichkeit haben, sich in der Sprache wohlzufühlen, die für sie am meisten Sinn ergibt.

Podcast Umdenken – Wissenschaft verständlich erklärt

Die Universität Münster beleuchtet in ihrem Podcast Umdenken aktuelle wissenschaftliche Themen aus verschiedenen Disziplinen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten über ihre Forschung, teilen Erkenntnisse und diskutieren gesellschaftliche Entwicklungen.