Provinzial Logo
Consident.de

Härtere Strafen für K.o.-Tropfen: NRW startet Bundesratsinitiative

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens hat eine Bundesratsinitiative gestartet, die härtere Strafen für K.o.-Tropfen fordert.
Foto: Unsplash

Teilen:

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens hat eine Bundesratsinitiative gestartet, die härtere Strafen für K.o.-Tropfen fordert. Straftäter, die ihre Opfer mit solchen heimlich verabreichten Betäubungsmitteln gefügig machen, sollen deutlich schärfer belangt werden. Der folgende Überblick erläutert die aktuelle Rechtslage in Deutschland, vergleicht Regelungen im Ausland, beschreibt Hintergründe zu K.o.-Tropfen, beleuchtet die Probleme bei der Strafverfolgung und stellt die geplante Gesetzesänderung sowie deren gesellschaftliche Relevanz dar.

Bestehende Gesetzeslage in Deutschland und Vergleich zu Ausland

Bislang werden Verbrechen unter Einsatz von K.o.-Tropfen in Deutschland juristisch nicht als besonders schwere Fälle eingestuft. Wer also jemandem K.o.-Tropfen verabreicht und das Opfer anschließend sexuell missbraucht oder ausraubt, dem drohen nach geltendem Recht maximal drei Jahre Haft​. Ein Grund dafür ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2024: Demnach gelten K.o.-Tropfen nicht als „gefährliches Werkzeug“ im Sinne des Strafgesetzbuches​. Zwar wird das heimliche Verabreichen der Tropfen als Anwendung von Gewalt gewertet, doch die bisherige Gesetzeslage sieht dafür keine erhöhte Mindeststrafe vor​. Das bedeutet, dass Täter trotz des perfiden Vorgehens häufig nur wegen normaler Körperverletzung, Sexualdelikte oder Diebstahl/Raub nach allgemeinem Strafrahmen verurteilt werden – was Opferverbände als unzureichend kritisieren.

Ein Blick ins Ausland zeigt, dass andere Länder teils strengere Regelungen kennen. In Großbritannien gilt das sogenannte Drink Spiking (Getränke mit Drogen versetzen) als eigenständige Straftat mit bis zu zehn Jahren Gefängnis​, selbst wenn keine weitere Tat folgt. Kommt es zusätzlich zu Sexualstraftaten oder Raub, drohen dafür weitere empfindliche Strafen​. Auch Frankreich hat reagiert: 2018 wurde dort das Verabreichen von „drogue du violeur“ (Vergewaltigungsdroge) ausdrücklich als strafverschärfende aggravierte Form von Vergewaltigung oder sexueller Gewalt in das Gesetz aufgenommen​. Zugleich wurde ein eigener Straftatbestand geschaffen – schon das Verabreichen der Substanz in der Absicht, jemanden sexuell zu missbrauchen, ist seither ein eigenständiges Delikt mit bis zu fünf Jahren Haft (im Falle eines erwachsenen Opfers)​. Diese Beispiele zeigen, dass die Rechtsordnung andernorts die besondere Gefährlichkeit von K.o.-Tropfen bereits anerkennt.

Hintergrund: K.o.-Tropfen – verwendete Stoffe, Wirkung und Häufigkeit

Unter dem Begriff K.o.-Tropfen versteht man verschiedene sedierende oder bewusstseinsverändernde Substanzen, die heimlich ins Getränk gemischt werden, um ein Opfer wehrlos zu machen. Häufig handelt es sich um starke Beruhigungs- oder Schlafmittel, Betäubungsmittel wie z.B. GHB/GBL (Gamma-Hydroxybutyrat bzw. Gammabutyrolacton, bekannt als „Liquid Ecstasy“) oder bestimmte Benzodiazepine (umgangssprachlich auch „Roofies“)​. GHB ist in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt, während GBL als Industriechemikalie frei erhältlich ist.

All diese Mittel sind farb- und geruchlos und werden vom Eigengeschmack eines Getränks meist überdeckt, sodass sie unbemerkt bleiben. Bereits 10 bis 20 Minuten nach Einnahme setzen die Effekte ein​: Den Opfern wird schwindelig, sie fühlen sich wie plötzlich stark betrunken, verlieren die Fähigkeit klar zu denken und werden willenlos. Nicht selten kommt es zu Bewusstlosigkeit, an die sich die Betroffenen später kaum oder gar nicht erinnern können​. In Kombination mit Alkohol sind K.o.-Tropfen besonders gefährlich, da sie das Risiko einer Atemlähmung oder eines Erstickens durch Erbrechen erhöhen können​.

Die Zahl der bekannt gewordenen Fälle von Straftaten mit K.o.-Tropfen ist in den vergangenen Jahren gestiegen – Experten gehen aber von einer hohen Dunkelziffer aus. Offizielle Kriminalstatistiken weisen solche Taten bislang nicht gesondert aus​. Einzelne Erhebungen lassen jedoch ein wachsendes Problem erkennen: So registrierte die Polizei in Baden-Württemberg 2021 nur 98 Fälle, 2022 bereits 160 und im Jahr 2023 sogar 171 Straftaten im Zusammenhang mit K.o.-Substanzen​. Die Zahl der Opfer stieg dabei auf über 160, wovon rund 80 % Frauen waren​. Bundesweit liegen keine zuverlässigen Gesamtzahlen vor, doch die Opferhilfsorganisation Weißer Ring schätzt die Dunkelziffer als sehr hoch ein​. Viele Betroffene scheuen aus Scham oder Unsicherheit den Gang zur Polizei, zumal sie oft nicht sicher wissen, was überhaupt mit ihnen geschehen ist.

Probleme bei der Strafverfolgung: Beweislast und Dunkelziffer

Die Ermittlungen in Fällen mit K.o.-Tropfen gestalten sich für Polizei und Justiz besonders schwierig. Zum einen sind die eingesetzten Mittel nur sehr kurz nachweisbar: Manche Wirkstoffe wie GHB/GBL verbleiben nur 6 bis 12 Stunden im Blut oder Urin, bevor sie abgebaut sind​. Wenn ein Opfer also erst am nächsten Tag oder noch später Anzeige erstattet, lassen sich toxikologische Beweise häufig nicht mehr sichern. Zum anderen können sich die Betroffenen wegen der drogeninduzierten Amnesie oft kaum an Täter, Tathergang oder genaue Umstände erinnern​. Ohne klare Erinnerung und mit fehlenden Laborbeweisen ist es schwierig, vor Gericht den Einsatz von K.o.-Tropfen zweifelsfrei nachzuweisen.

Hinzu kommt, dass viele Opfer die Tat gar nicht erst melden. Einige wachen lediglich mit starken Übelkeits- und Schwindelsymptomen auf und wissen nicht, ob ihnen „nur“ schlecht wurde oder ob sie tatsächlich Opfer eines Übergriffs wurden​. Dieser Umstand führt dazu, dass Experten von einer erheblichen Dunkelziffer sprechen – es dürfte weitaus mehr Vorfälle geben als angezeigt werden​. Polizeiliche Statistiken bilden das Problem daher nur unvollständig ab. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden K.o.-Tropfen-Fälle bislang nicht separat erfasst, weil eine verlässliche Zuordnung schwierig ist​. Nur eindeutig nachgewiesene Fälle ließen sich zählen, was aber das Ausmaß aufgrund des hohen Dunkelfelds verzerrt​.

Die Kombination aus schwieriger Beweislage und geringer Anzeigebereitschaft führt dazu, dass Täter oft straffrei ausgehen. Selbst wenn sie ermittelt werden, erfolgt mangels spezifischer Strafverschärfung häufig nur eine Verurteilung im unteren Strafrahmen. Diese Lücke im Strafrecht will Nordrhein-Westfalen nun schließen.

Geplante Strafverschärfung: NRW fordert härtere Strafen für K.o.-Tropfen

Angesichts dieser Problematik hat Nordrhein-Westfalen eine Initiative im Bundesrat eingebracht, um das Strafgesetzbuch zu ändern und härtere Strafen für K.o.-Tropfen zu verankern. Konkret schlägt NRW vor, die Mindeststrafe für Raub oder Vergewaltigung unter Einsatz von K.o.-Tropfen von derzeit 3 Jahren auf 5 Jahre anzuheben​. Hierzu sollen die einschlägigen Paragraphen – bei Sexualdelikten §177 StGB und bei Raubdelikten §250 StGB – um eine Qualifikation erweitert werden. Künftig soll ausdrücklich gelten, dass “das Beibringen von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen” zur Begehung der Tat den besonders schweren Fall bildet, der mit nicht unter fünf Jahren Freiheitsstrafe zu ahnden ist​. Mit anderen Worten: Wer sein Opfer durch K.o.-Tropfen wehrlos macht und dann missbraucht oder beraubt, wäre ein Fall für eine erhebliche Gefängnisstrafe – ähnlich wie bei Einsatz einer Waffe.

NRW-Justizminister Dr. Benjamin Limbach begründet den Vorstoß damit, dass das Strafrecht die besondere Gefährlichkeit dieser Taten bislang nicht ausreichend widerspiegelt​. Die Verwendung von K.o.-Tropfen sei eine „besonders perfide Methode“, die in die körperliche und seelische Unversehrtheit der Opfer eingreift und deren Verteidigungsfähigkeit komplett ausschaltet​. Täter spielten damit „in jedem Einzelfall mit dem Leben des Opfers“​, so Limbach. Solch heimtückische Verbrechen verdienten daher eine deutlich härtere Mindeststrafe, um Gerechtigkeit zu schaffen und auch eine abschreckende Wirkung zu erzielen.

Gesellschaftliche Relevanz: Folgen für Opfer und mögliche Schutzmaßnahmen

Verbrechen mit K.o.-Tropfen haben oft verheerende Folgen für die Opfer. Neben möglichen körperlichen Verletzungen steht vor allem das psychische Trauma im Vordergrund. Viele Betroffene fühlen sich gedemütigt, verunsichert und haben mit Schuldgefühlen zu kämpfen, weil sie glauben, nicht vorsichtig genug gewesen zu sein. Besonders belastend ist die Ungewissheit: „Was ist mit mir passiert?“ – diese Frage quält viele Opfer, die sich an den Tathergang nicht erinnern können​. Experten berichten, dass solche Taten Opfer schwer traumatisieren und ein Leben lang begleiten. Das Vertrauen in die Mitmenschen und das Sicherheitsgefühl beim Ausgehen werden massiv erschüttert. Insbesondere Frauen – die häufigsten Zielscheiben solcher Angriffe – fühlen sich in Clubs oder auf Partys weniger frei und unbeschwert, was auch eine gesellschaftliche Einschränkung bedeutet.

Umso wichtiger sind Prävention und Schutzmaßnahmen. Jeder und jede kann im Nachtleben einige Vorsichtsregeln beachten, um das Risiko zu verringern: Getränke sollten nie unbeaufsichtigt stehen gelassen und nicht von Unbekannten angenommen werden​. In der Gruppe sollte man aufeinander achten – etwa bei auffälligem Verhalten sofort Freunde oder Personal alarmieren und die Person nicht allein lassen​. Fühlt man sich plötzlich unwohl oder „benebelt“, gilt: nicht zögern, sondern Hilfe suchen und im Zweifel einen Rettungsdienst rufen. Einige Bars und Veranstaltungen bieten inzwischen Hilfsmittel an, z.B. spezielle Deckel oder Armbänder, die einen Farbtest machen, wenn sie mit dem Drink in Berührung kommen. Allerdings haben Studien gezeigt, dass solche Tests nicht immer zuverlässig anschlagen​ – sie können allenfalls ein zusätzliches Werkzeug sein, ersetzen aber keine Umsicht.