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Warum plötzlich so viele Kinderpornografie-Fälle in NRW entdeckt werden

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Foto: Pexels

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Die Zahl der polizeilich erfassten Sexualdelikte gegen Kinder in NRW ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Das geht aus einer Antwort der nordrhein-westfälischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Zacharias Schalley (AfD) vom 15. April 2025 hervor. Die aktuellen Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zeigen einen markanten Anstieg bei kinderpornografischen und jugendpornografischen Delikten. Doch Strafrechtsexpert:innen und Ermittlungsbehörden warnen davor, die Entwicklung vorschnell als Zunahme tatsächlicher Taten zu interpretieren.

Deutlicher Anstieg der Fallzahlen – aber was sagen sie wirklich?

Im Jahr 2015 verzeichnete die nordrhein-westfälische Polizei 1.505 Fälle im Zusammenhang mit kinderpornografischem Material (§ 184b StGB). Im Jahr 2024 waren es bereits 9.013 – also rund sechsmal so viele. Noch höher lagen die Fallzahlen in den Jahren 2020 (10.730) und 2021 (11.328). Auch bei jugendpornografischen Inhalten (§ 184c StGB) ist ein Anstieg erkennbar: von 167 Fällen im Jahr 2015 auf 1.755 im Jahr 2024.

Doch was auf den ersten Blick wie eine besorgniserregende Eskalation wirkt, ist in Wahrheit komplexer. Die Landesregierung weist selbst darauf hin, dass dieser Anstieg auch durch eine Vielzahl struktureller Veränderungen zu erklären ist:

„Ursächlich für den Anstieg der Fallzahlen in diesem Deliktsbereich ist insbesondere ein verändertes Anzeigeverhalten, die hohe Fallzahlen produzierende Analyse von elektronischen Speichermedien in großem Umfang, die Bearbeitung von Hinweiskomplexen mit einer Vielzahl von Einzelfällen sowie die deutlich ausgeweiteten Ermittlungen“, heißt es in der offiziellen Stellungnahme (Drucksache 18/13509).

Neue Technik – mehr Aufdeckung, nicht unbedingt mehr Taten

Die Digitalisierung hat das Strafverfolgungssystem grundlegend verändert. Verdachtsmomente lassen sich heute über Algorithmen, Datenabgleiche und internationale Kooperationen viel schneller auswerten. Speichermedien wie Handys oder Cloud-Dienste werden systematisch durchsucht, wobei teils hunderte Einzelfälle aus einem einzigen Gerät resultieren können. Auch Hinweise aus dem Ausland, etwa vom US-amerikanischen NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children), führen regelmäßig zu umfangreichen Ermittlungen in Deutschland.

Was dabei oft untergeht: Viele Fälle resultieren nicht aus gezielter krimineller Beschaffung von Missbrauchsdarstellungen, sondern aus dem – strafrechtlich dennoch relevanten – Weiterleiten oder Speichern von Bildern, zum Teil auch durch Jugendliche selbst.

Minderjährige häufig Tatverdächtige – problematischer Trend bei „Selbstfilmungen“

Besonders auffällig: Im Bereich kinderpornografischer Inhalte liegt der Anteil minderjähriger Tatverdächtiger bei knapp 40 Prozent. Bei jugendpornografischen Inhalten ist er sogar noch höher. Häufig handelt es sich um Fälle, in denen Jugendliche sogenannte „Selfie-Sexting“-Aufnahmen oder andere intime Inhalte verbreiten – ohne sich bewusst zu sein, dass dies unter die harten Regelungen des § 184b bzw. § 184c fällt.

Diese Entwicklung stellt Schulen, Eltern und Politik gleichermaßen vor Herausforderungen. Medienpädagog:innen fordern seit Jahren eine bessere Aufklärung in Schulen – nicht nur über Datenschutz, sondern auch über Strafbarkeitsgrenzen.

Herkunft der Tatverdächtigen – kein Zusammenhang mit Nationalität

Entgegen mancher Annahmen ist der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger vergleichsweise niedrig: Im Bereich der Kinderpornografie liegt er laut Landesregierung bei durchschnittlich 19,2 Prozent zwischen 2015 und 2024. Bei jugendpornografischen Inhalten sind es lediglich 13,1 Prozent. Damit sind ausländische Tatverdächtige in diesem Deliktsfeld unterdurchschnittlich vertreten, insbesondere im Vergleich zu anderen Kriminalitätsfeldern.

Die Landesregierung hebt hervor, dass kriminologisches Verhalten nicht pauschal an die Nationalität gebunden sei. Vielmehr spiele das soziale Umfeld, der Zugang zu Technik und das Bewusstsein für strafbare Inhalte eine größere Rolle.

Strafverfolgung verstärkt, Prävention zu schwach?

Während Polizei und Justiz in den vergangenen Jahren ihre Ressourcen für digitale Auswertung und internationale Zusammenarbeit ausgebaut haben, bleibt die präventive Aufklärungsarbeit hinter den Erwartungen vieler Fachleute zurück. Die steigenden Zahlen in der Statistik könnten – so eine gängige These – auch Ausdruck eines wachsenden Fahndungserfolgs sein. Das Problem: Die Öffentlichkeit nimmt sie dennoch oft als Anstieg der tatsächlichen Kriminalität wahr.

Fachleute fordern deshalb: mehr Schulungen, mehr Medienkompetenz und vor allem eine öffentliche Debatte, die differenziert, statt zu skandalisieren.

Sexualdelikte gegen Kinder in NRW ernst nehmen, aber differenziert einordnen

Die Entwicklung der letzten zehn Jahre zeigt: Sexualdelikte gegen Kinder in NRW werden heute intensiver verfolgt und häufiger entdeckt als früher. Das ist ein Erfolg für die Ermittlungsbehörden – aber kein Grund zur Entwarnung. Denn gleichzeitig steigen mit der Verbreitung digitaler Kommunikation auch die Risiken, gerade für Kinder und Jugendliche.

Der Anstieg der Fallzahlen darf nicht dazu führen, dass falsche Schlüsse gezogen werden. Stattdessen braucht es eine fundierte gesellschaftliche Auseinandersetzung, die zwischen Aufklärungsarbeit, konsequenter Strafverfolgung und sozialpädagogischer Prävention vermittelt. Nur dann kann Kinderschutz in NRW langfristig gelingen.


Quellenhinweis:
Der Artikel basiert auf der offiziellen Drucksache 18/13509 des Landtags NRW, veröffentlicht am 15.04.2025.

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